Goldmacher (German Edition)
große Ereignis, das ihr irgendwann in absehbarer Zeit bevorstand, auf ihren eigenen Tod, vorzubereiten.
Es war elf Uhr, Zeit, das Mittagessen mit Liane vorzubereiten, als der Postbote in die Einfahrt einbog und Alexandra sich auf die Armlehnen des Sessels stützte, um sich hochzustemmen. Es waren die Hüftgelenke und die Knie, die ihr den Dienst aufkündigen wollten. Vielleicht sollte sie sich doch so eine Krücke zulegen, wie Franz sie hatte.
Endlich auf beiden Beinen, griff sie zu ihrem Stock und stützte sich damit ab. Ungelenk waren ihre Schritte trotzdem. Sie fand Halt an einer Stuhllehne. Nach einigen weiteren Schritten wurden ihre Bewegungen dann etwas geschmeidiger. Sie ging hinüber in ihr Schlafzimmer und drückte den Knopf. Ein lauter Klingelton war im Treppenhaus zu hören, aber auch außerhalb des Hauses. Franz hatte den Knopf vom Elektriker installieren lassen, damit sie sich bemerkbar machen könne, falls sie nachts Hilfe brauche. Sie nutzte den Alarmknopf bisher vor allem tagsüber.
Nicht lange nach dem lauten Klingelton, der auch in der unteren Etage und in der Dachwohnung ankam, stieg das Hausmeisterpaar die Stufen der Treppe herauf. Wenn sie klingelte, kamen sie immer gemeinsam.
»Aus Angst, dass Ihnen etwas passiert sein könnte«, hatten sie einmal unisono erklärt. »Damit sich meine Frau nicht erschreckt«, hatte der Mann noch hinzugefügt.
Sie wolle heute zu Mittag einen Fisch essen, sagte Alexandra, einen aus dem See, eine Renke sei ihr am liebsten.
»Es ist aber doch noch nicht Freitag«, sagte die Hausmeisterin, Fisch esse sie doch immer nur freitags.
»Dann ist für mich heute eben Freitag«, sagte Alexandra. Sie wolle einen leichten Riesling dazu trinken und sei zu Mittag nicht allein. Sie erwarte Liane.
»Aber Liane kommt doch immer am Freitag«, sagte der Hausmeister.
»Dann ist heute eben Freitag«, beharrte Alexandra und wünschte sich zum Fisch Spinat und Salzkartoffeln.
Das Hausmeisterpaar schaute sich an: »Gut, dann ist heute eben Freitag«, war die Frau nun einverstanden. »Wir gehen jetzt den Fisch holen.«
Alexandra nickte und ging langsam zurück zum Sessel am Fenster. Sie setzte sich behutsam und verfolgte, dass das Hausmeisterpaar in seinem Auto die Einfahrt hinunterfuhr, bei der Madonna anhielt, nach links blinkte und einige Minuten warten musste, bis es sich schließlich in den Autostrom einfädeln konnte. Sie sah dem kleinen gelben Wagen hinterher, bis er in einer Kurve verschwand. Jetzt war sie ganz allein auf dem Amselhof. Eine große Erleichterung überkam Alexandra, als wäre sie von ihren Aufpassern befreit. Tatsächlich hatte sie sich an diese fremden Leute nie gewöhnen können, obwohl sie bereits seit ein paar Jahren auf dem Amselhof wohnten.
Bei ihrem letzten Besuch hatte Liane sie nach dem Goldmacher gefragt. Sie erinnere noch die Betthupferlgeschichten, die sie, die Großmutter, ihr und den Geschwistern vor dem Einschlafen erzählt habe. Der Held dieser Geschichten sei ein Professor Tausendsassa gewesen, der Gold und immer wieder alles gut machen konnte, was Hexen und Zauberer schlecht gemacht hatten.
»Es hat doch hier auf dem Amselhof früher tatsächlich einmal einen echten Goldmacher gegeben«, hatte Liane gesagt und alles über ihn wissen wollen, und Alexandra hatte ihr alles erzählt, was sie noch erinnerte, auch das, was sie niemals in ihr Tagesbewusstsein hatte kommen lassen wollen. Was sie sich nie wirklich eingestehen wollte, war ja, dass ihr nämlich der Goldmacher, der Mann, der Friedrich Tausch hieß, mindestens so gut, wenn nicht sogar noch sehr viel besser gefallen hatte als das Gold, das er zu produzieren vorgab. Damals hatte sie sich seinetwegen so oft in das Hügelgewölbe mit dem manchmal beängstigend lauten Getöse und den austretenden Nebeldämpfen gewagt. Nur um ihm in die Augen sehen zu können, die in einem ähnlichen Blau leuchteten wie ihre Augen. Wenn ihm eine Locke seines dunklen Haars, das dunkel und gelockt war wie ihres auch, in die Stirn fiel, presste sie den kleinen Franz, den sie zu Anfang noch auf dem Arm tragen musste, ein wenig fester an sich, um dem unwillkürlichen Reflex zu entgehen, ihm mit der Hand die Haarlocke aus seiner Stirn zu streichen. Zuerst verfolgte sie sein Tun stumm, doch bald begann sie, ihm Fragen zu stellen, die sie sich vorher zurechtgelegt hatte. Es waren zuerst Fragen darüber, wie alles zusammenhing, die Rohre, die Kessel, die Schläuche. Sie hörte ihm sehr genau zu, lauschte seinen
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