Goldmacher (German Edition)
Diesen kurzen Moment der Irritation durchlebte sie bereits seit einigen Wochen immer wieder. Nach Alexandras Beerdigung war sie nicht nach Sydney zurückgekehrt, sondern mit den Kindern auf dem Amselhof geblieben.
Sie lauschte noch eine Weile auf das Rauschen. Früher hatte es diesen Verkehr nicht gegeben. Er beunruhigte sie, ihre beiden Söhne fuhren jeden Morgen mit dem Fahrrad, flankiert von diesen vorbeirasenden Autos, in die Schule.
Sie stand auf, weckte sie und begann das Frühstück vorzubereiten. Draußen war es noch dunkel. Sie hörte Stimmen im Hof und blickte aus dem Fenster, im Schein der Hofbeleuchtung streute das Hausmeisterpaar Asche auf den Weg, es hatte über Nacht geschneit. Sie würde die Jungs in die Schule fahren, entschied sich Lexa, die beiden kannten die Gefahren von Eis und Schnee nicht, nachdem sie bisher im immerwährenden australischen Sommer aufgewachsen waren.
Er hat eine andere Frau und auch schon wieder ein Baby mit ihr, hatte sie Rosi und Franz ihre Rückkehr erklärt und war in Alexandras Wohnung gezogen. Vorläufig, hatte sie gesagt und Kontakt mit Anton aufgenommen. Sie hatte eine Mappe mit Material zusammengestellt und schließlich einen Termin mit ihm vereinbart, heute gegen Mittag würde sie nach Hamburg fliegen.
Er ist gealtert, aber doch wieder der Alte, dachte Lexa, als sie Anton am Nachmittag in seinem Büro gegenübersaß. Sie fühlte sich vertraut mit ihm, wie schon seit ihrer Kindheit. Früher sei sie eine politische Schwärmerin gewesen, begann sie, die knallhart an der Realität vorbeigedacht hätte. Inzwischen sei sie aber zur knallharten Realistin geworden, schon wegen ihrer Söhne. Sie habe ein Video mitgebracht und würde es gemeinsam mit ihm ansehen wollen, schlug sie vor. Es wären die Aufzeichnungen von Berichten, die sie und ihr Mann für einen regionalen australischen Sender gedreht hätten. Berichte über das Ozonloch, und wie sich das Leben für Menschen und Tiere dadurch bereits verändert hätte und was noch auf sie zukäme.
»Habe ich mich sehr verändert?«, fragte Lexa unvermittelt.
»Du siehst Alexandra immer ähnlicher«, meinte Anton, »sie war eine sehr besondere Frau.«
Lexa nickte. Nach kurzem Schweigen sagte sie: »Vielleicht werde ich so alt wie Alexandra und lebe noch vierzig Jahre, ob jedoch unsere Erde so lange noch mitmacht, ist allerdings nicht klar, darüber wird bereits in der Wissenschaft gestritten«, behauptete sie und legte die Videokassette in den Rekorder.
»Und was sagt Franz zu deinen Berichten?«, wollte Anton wissen, Lexa hatte im Anschluss an die Dokumentarfilme eine Sammlung von Daten und Statistiken über alarmierende Reaktionen, wahre Kettenreaktionen der belasteten Umwelt, vor ihm ausgebreitet.
»Das alles wären meine sehr persönlichen apokalyptischen Visionen, meine Hirngespinste, und es wundere ihn nicht, dass meine Ehe gescheitert sei«, antwortete sie und lachte, dann wurde sie ernst.
»Meine Ehe ist wirklich daran gescheitert«, sagte sie nach einer Weile, »John ist krank geworden, er leidet an Hautkrebs und ist depressiv. Er war ein typischer Sonnenanbeter. Inzwischen hat er eine junge Frau und hält sich mit seiner Eifersucht bei Laune.« Sie lachte wieder. »Glaubst du, sie nehmen mich, wenn ich mich bei euch bewerbe?«, fragte sie dann.
Vielleicht, antwortete Anton, doch sie müsse sich nicht mehr bewerben, ihre Bewerbung, er wies auf Lexas Materialsammlung und ihre Berichte, sei bereits angenommen. Von ihm.
Die Autorin würde wie ein Orakel mit dunkel umwölkter Stirn und düsterem Blick große Errungenschaften der Menschheit als Auslöser einer bedrohten Zukunft sehen, kommentierte Franz in einem seiner ersten Leserbriefe Lexas Artikel. Er verfasste im Laufe der Zeit noch eine ganze Reihe von Leserbriefen, in denen er sich über die inkompetenten Verteufelungen der Autorin beschwerte. Doch keinen dieser Briefe schickte er jemals ab, schließlich war die Autorin seine Tochter und er ein Mann mit Familiensinn. Irgendwann jedoch schrieb er Anton, es sei völlig unverantwortlich, Lexa zu erlauben, in seinem Blatt immer wieder Wirtschaft und Industrie als Verursacher von irreversiblen Umweltschäden zu geißeln.
Anton verwies auf die Hybris von Wissenschaftlern im Dienst der Industrie, was Franz heftig erboste. In einem langen handschriftlichen Brief erklärte er ihm daraufhin noch einmal seine Überzeugung von der unaufhaltsamen Veredelung durch Wissen, das zu mehr Reichtum führe und somit hinaus aus
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