Goldmacher (German Edition)
schlagartig die Steifheit aus seinen Gliedern und das Blut kehrte in sie zurück, es begann allerdings, auf eine ihm bisher unbekannte Weise zu pulsieren.
Als die Kellnerin ihn fragte, was der junge Herr denn zu trinken wünsche, vielleicht auch ein Bier? Ein kleines?, konnte er nicht antworten, so heftig klopfte sein Herz. Er blickte wieder zum Vater.
»Anton hat morgen Geburtstag, er wird zehn Jahre alt, ich glaube, ein Malzbier wird in Ordnung sein«, sagte der Vater und schaute zwischen ihm und der Kellnerin hin und her.
»Das passt schon«, meinte die Kellnerin lachend, und plötzlich verzog sich auch Antons Mund zu einem Lachen.
Daraufhin drehte sich die Kellnerin schnell um und nahm die kleine Vase mit Margeriten, Mohn und Kornblumen, die auf einem der Serviertischchen stand, und stellte sie vor Anton hin und sagte, nun müsse er schon bis Mitternacht bleiben, damit sie mit ihm auch noch auf seinen zehnten Geburtstag anstoßen könne.
Sie fuhr ihm blitzschnell mit der Hand durchs Haar: »Ich bin die Mizzi«, stellte sie sich ihm vor, sammelte dann mit Schwung die leeren Bierkrüge vom Nebentisch ein und ging, die Bestellung aufzugeben.
Anton schaute hinter ihr her, er sah nur noch sie und wie bei jedem Schritt alles an ihr hin und her schwang, der blaue Rock mit den Unterröcken darunter, das schwarze gewellte Haar, die weißen Bänder ihrer Schürze. Die anderen Höhlenbewohner rundherum verblassten. Und mit ihnen auch seine Angst. Die Einzige, die hier wohnte und in deren Stube er nun saß, war sie, das Fräulein Mizzi. Flugs verwandelte sich nun die Höhle von einem Ort des überall lauernden Schreckens in einen, den er nie mehr verlassen wollte, so wohlig und aufgehoben fühlte er sich. Er streckte sich auf seinem Sitz aus, erwartete sehnlichst die Rückkehr der Röcke schwingenden Gestalt und fühlte sich ganz unversehens erwachsen.
Tatsächlich war Anton mit seinen zehn Jahren ein frühreifer Junge. Die häufige Abwesenheit von Johann hatte ihn ein Stellvertreterleben entwickeln lassen. Befand sich das Familienoberhaupt auf Außendienstreise, ging die unumstrittene Autorität des Vaters, zumindest in Antons Vorstellung, auf ihn über, und er saß dann zu Hause auf dem Stuhl des Vaters am Kopfende des Tisches.
Seine Schwestern Ruth, Martha, Elisabeth und Judith, die alle weitaus älter waren als er, lachten oder protestierten, aber die Mutter ließ ihn gewähren. Manchmal streifte ihn dann sogar ein Blick von ihr, in dem ganz verborgen jenes Strahlen aufschien, das in den ersten noch sorgenfreien Jahren ihr Gesicht aufleuchten ließ.
Sie hatte es in den vergangenen Jahren vermieden, in Antons Gegenwart das Goldmacher-Unglück weiter zu beklagen oder ausgiebig über das Teufelswerk zu schimpfen. Trotzdem war Anton der Kummer, der an Katharina nagte, nicht verborgen geblieben. In seiner aufrechten Kinderseele hatte sich der Plan eingenistet, der Familie eines Tages alles, was der Goldmacher ihr genommen hatte, wieder zurückzuholen und seinen gutgläubigen Vater zu rächen. Aus diesem Plan war dem in frühen Jahren häufig Kränkelnden eine innere Kraft erwachsen, die ihn später gesund bleiben ließ und zudem beizeiten immun machte gegen den sich ausbreitenden Wunderglauben, gegen das gesamte Teufelswerk, wie die Mutter die Sache mit Dr. Willinger, der Partei und dem Goldmacher in einem Aufwasch nur noch kurz und bündig nannte. Und sein Plan immunisierte ihn nicht nur, er spornte ihn an: Eines Tages würde er nicht nur den Vater rächen, er würde das gesamte Teufelswerk vernichten, hatte er sich in einer Art kindlicher Allmachtsfantasie geschworen.
Nach einer für Anton unendlich langen Abwesenheit kehrte endlich Fräulein Mizzi in die Stube zurück, kreiselte mit schwingenden Röcken an den Tischen und Stühlen vorbei und um sie herum und auf ihn zu, in der einen Hand einen großen Teller mit dem würzig duftenden Schweinebraten, in der anderen eine ovale Platte, aus der sich eine goldgelbe Hügellandschaft erhob, die Kuppen mit schmelzendem Puderzuckerschnee bedeckt: der Kaiserschmarren.
Sie ließ den großen Teller vor dem Vater und die ovale Platte vor dem Sohn niederschweben, wünschte »An Guat’n!« und fuhr Anton wieder kurz mit der Hand durchs Haar.
»So fein, so blond!«, sagte sie bewundernd, während sie Anton anstrahlte, dem es noch ein bisschen wärmer wurde und der sich deshalb wünschte, seine Jacke ausziehen zu dürfen, was er dann auch einfach tat, ohne wie sonst den Vater
Weitere Kostenlose Bücher