Goldmacher (German Edition)
ein einziges Wort: Mizzi.
Fräulein Mizzi aber rührte sich nicht, sie fixierte nach wie vor die Brieftasche in der Hand des Vaters. Zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine steile Falte gebildet, die sich immer tiefer in ihre Stirn grub.
Johann rechnete nicht, wie es sonst seine Art war, die Endsumme nach, er entnahm seiner Brieftasche hastig einen Schein und gab ihn dem Fräulein Mizzi: »Der Rest ist für Sie«, sagte er, aber das ging bereits im Gegröle des Riesen unter, der auf ihren Tisch zustürzte. Noch bevor Fräulein Mizzi den Geldschein in die Börse unter ihrer Schürze stecken konnte, packte sie der Uniformierte und stemmte sie mit einem Ruck vom Boden in die Höhe. Eine schwungvolle Drehung, und das Fräulein Mizzi lag über seiner Schulter. Unter dem Gejohle einiger Gäste wurde sie so den Gang hinuntergetragen.
Anton, bleich vor Schrecken, beobachtete, wie Fräulein Mizzi, den Geldschein hielt sie fest in der einen Faust, mit beiden Fäusten auf den Rücken ihres Entführers eintrommelte. Nun wurde Anton rot vor Zorn. Wie konnte der Riese es wagen, das Fräulein Mizzi, sein Fräulein Mizzi zu entführen!
Johann versuchte, seinen Sohn aufzuhalten, erwischte ihn jedoch nur noch am Hemdzipfel, den Anton ihm dann ungestüm entriss. Bevor es dem Vater gelungen war, sich aus der Eckbank herauszuzwängen, hatte Anton den Räuber bereits eingeholt, wischte, schnell wie ein Wiesel, an ihm vorbei und stand nun mitten im großen Saal, um dem riesenhaften Räuber mit der geraubten Mizzi über der Schulter den Weg zu versperren. Um sich herum hörte er einen unerhörten Lärm toben, aus dem Nebeldunst lösten sich einzelne Gesichter und wandten sich ihm zu, dann schienen sich plötzlich alle zu ihm umzudrehen und ihn anzuschauen.
Anton wich zurück, ging Schritt um Schritt rückwärts, immer weiter, und hielt erst inne, als ihm der Riese weit genug entfernt schien. Dann senkte er seinen Kopf und raste los. Er raste und raste, raste immer schneller, die Strecke schien sich zu dehnen, dehnte sich immer länger, bis endlich sein Kopf mit voller Wucht gegen den Bauch des Räubers prallte. Sofort spürte Anton den Widerstand des Koppelschlosses als heftigen Schmerz an der Stirn, seine Hände griffen nach dem schwarz glänzenden Leder des Gürtels, an dem er sich festhielt, nur um seinen Kopf noch tiefer in den Bauch des Riesen zu pressen.
Der war vom Aufprall ins Wanken geraten und kippte jetzt ein wenig nach hinten, während er sich mit den Armen rudernd im Gleichgewicht hielt und dabei das Fräulein Mizzi loslassen musste, die sofort von seiner Schulter rutschte und sich schleunigst in Sicherheit brachte.
Nun beugte sich der Riese nach vorn und packte sich den Angreifer, er stemmte ihn hoch, grölte für Anton unverständliche Worte, wollte ihn sich auf seine Schultern setzen, doch Anton presste die Beine fest zusammen. Da setzte er ihn sich einfach auf den Schädel und begann, sich mit Anton auf dem Kopf nach allen Seiten zu drehen, und alle im großen Saal lachten und klatschten in die Hände.
Anton fühlte sich als Sieger, er hatte das Fräulein Mizzi befreit, er sah sie hinter dem Tresen in Sicherheit, sie lachte ihm zu. Da lachte auch er und klatschte in die Hände.
Doch der Welle von Glück folgte ganz plötzlich eine Woge von Übelkeit und sein ganzer Mageninhalt, die weiche Teigmasse des Kaiserschmarrns, durchmischt mit dem Malzbier, ergoss sich wie ein Sturzbach aus seinem Mund und über Gesicht und Schultern bis hinunter auf den vorspringenden Bauch des Riesen.
Der schimpfte, tobte und fluchte, während alle im Saal vor Lachen so laut brüllten und schrien, dass Anton langsam die Sinne schwanden: Es wurde immer leiser um ihn herum, und immer dunkler, er rutschte vom Kopf des Riesen, rutschte tiefer und tiefer und noch tiefer. Er wachte erst am nächsten Morgen in seinem Bett im Hotel Blaues Haus wieder auf.
Zunächst wusste er nicht, wo er war. Er blickte auf eine gestreifte Tapete. Sie war ähnlich gestreift wie der Bezugsstoff des Polsters auf der Eckbank in der Stube. Und als er das erinnerte, kehrten mit Wucht die Ereignisse in der Höhle, kehrten der Riese und das Fräulein Mizzi zurück und ließen ihn unter dem Federbett hochschnellen. Doch schwer wie ein großer weißer Berg lag es auf ihm, sodass er gleich wieder zurücksank. Auch das Bett entpuppte sich als eine Art Höhle, und so blieb ihm später sein erster Besuch in München als eine Art Höhlenbesuch in Erinnerung, beängstigend
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