Goldmacher (German Edition)
erkannte, dass Lowicki und alle, die sonst mit der Goldmacherei zu tun hatten, ihn womöglich genau dafür hielten. Vielleicht sogar sein ehemaliger Professor. Und dass sie alle es für nicht so bedeutungsvoll erachteten, ob er nun ein Scharlatan war oder nicht, solange sie nur Geld durch ihn akquirieren konnten.
»Ich werde doch nicht einfach weitermachen wie bisher!«, schrie Friedrich. Er schrie, weil er wusste, sie würden ihn dazu bringen. Sie würden ihn nicht zu einem weiteren Versuch überreden wie sonst, nein, sie würden ihn zwingen. Und noch mehr hatte er in Lowickis Augen gelesen: Wenn er die industrielle Herstellung von Gold nicht auf die Weise weiterbetreiben würde wie bisher, mit den Versuchen, mit den Vorführungen, was für ihn ja kein Weitermachen war wie bisher, sondern der Beginn von Betrug, dann würde Lowicki ihn umbringen. Umbringen lassen.
4.
Es war Sommer und zur Ferienzeit durfte Anton, weil sich sein Geburtstag zum zehnten Mal jährte, den Vater auf einer seiner Dienstreisen begleiten.
Seit mehreren Jahren besuchte Johann Bluhm nun schon als Außendienstler Kunden. In Antons Vorstellung war er auf diesen Reisen überwiegend nachts auf dunklen Landstraßen unterwegs, um am Tage ernste Gespräche mit Verlagsleitern zu führen. Beide, der Vater und die Verlagsleiter, so stellte es sich Anton vor, würden sich dabei mit so düsteren Mienen begegnen, wie die Mutter düster schaute, wenn sie vom Vater sprach und darüber, wie er auf mühsame und armselige Weise den Unterhalt für die Familie verdienen müsse, weil der hinterhältige Dr. Willinger den Vater zu dem Goldmacher gelockt habe. Im Zug auf der Fahrt nach München erlebte Anton seinen Vater nun in bester Laune, und je näher sie ihrem Ziel kamen, umso vergnügter schien er zu werden.
Tatsächlich liebte Johann seine Außendiensttätigkeit. Auch wenn der Verlust der Bluhm’schen Papierfabrik sehr schmerzvoll gewesen war, er hatte ihn, seitdem er zu einer Druckerei gewechselt war, seiner eigentlichen Leidenschaft so nahe gebracht, wie er es sich nur wünschen konnte.
Diese seine Leidenschaft für das gedruckte Wort ließ ihn schnell zum erfolgreichsten Akquisiteur im Unternehmen aufsteigen. Bereiste er am Anfang nur Niedersachsen, bot ihm die Geschäftsleitung schon bald Gebietserweiterungen an, zuerst um Sachsen, danach kam Hessen dazu. Die Reise nach München galt einem großen Verlag, den die Geschäftsleitung als Kunden gewinnen wollte, deshalb schickte sie ihren besten Mann.
Am frühen Abend vor Antons zehntem Geburtstag am 29. Juli 1934 trafen Vater und Sohn in München ein.
Anton hatte zu Hause, aber auch in der Schule bereits öfter von Ereignissen in der Stadt München gehört, die ihm geheimnisvoll und bedrohlich zugleich erschienen. Vor ein paar Tagen erst erzählten sich die Leute auf der Straße von einem Putsch gegen den Führer unweit von München, und überhaupt wurde im Zusammenhang mit der Stadt München, der Hauptstadt der Bewegung, viel über den Führer gesprochen. Bei ihm zu Hause in Hannover hatte seine Mutter Katharina den Führer mit dem gleichen Bannfluch belegt wie den Goldmacher. Vor der Abreise erzählte sie ihrem Sohn dann auch lieber Geschichten vom bayerischen Märchenkönig, der prächtige Schlösser erbaut habe, die Johann an Antons Geburtstag mit ihm besichtigen solle. Und so schwankten Antons Überlegungen über das, was ihn in der Stadt München wohl erwarte, zwischen der Vorstellung von einem gefährlichen und der von einem prächtigen Ort.
Nach einem nur kurzen Aufenthalt im Hotel Blaues Haus, wo sich der Vater und auch er im Hotelzimmer über dem Waschbecken Gesicht und Hände wuschen und er dem Vater half, die Garderobe aus dem Koffer in den Schrank zu legen, traten sie wieder aus dem Hotel und auf die Straße hinaus. Eine ungewohnt laue Luft umwehte sie.
»Das ist Föhn«, meinte Johann zu seinem Sohn und atmete die Luft tief ein, »der kommt direkt aus den Bergen.«
Anton tat es dem Vater gleich und atmete die Luft aus den Bergen auch tief ein, griff nach seiner Hand und zog ihn die Straße hinunter.
Bald kamen sie an einen großen Platz mit farbig angemalten hohen Häusern, wie sie Anton noch nicht kannte, und er fragte, ob das die Märchenschlösser des Königs wären. Der Vater schüttelte lachend den Kopf und zeigte auf ein Schild: »Hier wohnt eine Bank«, sagte er, »ein Geldinstitut«, erklärte er, ging nun auf eine der wartenden Droschken zu und bat den Fahrer um eine
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