Goldmarie auf Wolke 7
stundenlang im Bad rumtrödeln musste. Aber nun habe ich endlich sturmfreie Bude und kann mich gleich wieder ins Bett legen und Musik hören, anstatt sinnlos in der Schule abzuhängen. Ich könnte aber auch schlafen. Oder darüber nachdenken, warum Marie bei Ludmilla gekündigt und Ma jetzt die fixe Idee hat, ich sollte mich da bewerben. Ich hab echt gedacht, ich käme um einen Zusatzjob drum herum, aber es scheint ihr ernst zu sein. Sie hat mir eine Frist von zwei Wochen gesetzt, um mir etwas zu suchen. Mann ey, ich hab echt keine Lust, mich in diesem Billighöker von Bäcker zum Horst zu machen und den Kunden Puderzucker in den Hintern zu blasen. Da hängen teilweise so assige Leute rum, dass ich schon Anfälle bekomme, wenn ich bloß dran denke. Diesen Mist konnte auch nur unser ENGEL DER BARMHERZIGKEIT aushalten. Warum muss eigentlich in meinem Leben immer alles so kompliziert sein? Warum kann ich nicht wie andere auch in einer Familie leben, in der Dad bei seinen Freunden die Fotos auf den Tisch knallt, frei nach dem Motto ›Mein Haus, mein Auto, mein Labrador, meine Familie‹. Von mir aus auch in umgekehrter Reihenfolge. Aber nein, ich hab natürlich das Pech – nicht nur in meinem saublöden Nachnamen, nein, ich ziehe es auch noch an. Reingeboren in eine Loserfamilie ohne das klitzekleinste bisschen Aussicht auf Besserung. Boah, ich bin jetzt todmüde. Gute Nacht, liebes Tagebuch – ich hau mich hin.
Deine Lykke, die alles satthat.
12. Marie Goldt
(Mittwoch, 16. November 2011 )
»Bist du Marie?«, fragte ein elfenhaftes Wesen, das über den dunklen Dielenboden von Traumzeit zu schweben schien. »Ja, genau«, antwortete ich und sah mich erwartungsvoll um. Der Laden wirkte gemütlich, aber gleichzeitig klar und aufgeräumt. »Nives ist noch in einer Sitzung, aber ich soll dir ausrichten, dass sie sich sehr auf deinen Besuch freut. Magst du schon einen Tee oder willst du dich lieber erst einmal umschauen? Ich heiße übrigens Niki.«
»Was für Sitzungen sind das denn?«, erkundigte ich mich neugierig. Traumzeit war auf den ersten Blick ein normales Fachgeschäft für alles rund um das Thema Bett, also Matratzen, Lattenroste, Gestelle, Bettwäsche.
Niki rollte ihre großen strahlend blauen Augen, die mit schwarzem Kajal umrandet waren. Unter den unteren Lidrand hatte sie sich eine extra Reihe Wimpern gemalt und eine silberne Perle angeklebt. »Nichts Besonderes, nur ein bisschen Leute verhexen«, antwortete Niki und legte beim Lächeln eine Reihe schneeweißer Zähne frei. Ihren oberen Schneidezahn zierte ein glitzernder Stein.
»Und das kann sie wirklich gut!«, bestätigte ein Typ, der gerade aus dem hinteren Teil des Raums auftauchte. Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, warf seine Lederjacke über die Schulter und verließ dann mit einem lässigen »Schönen Nachmittag, Ladys« den Laden. »Das war übrigens Dylan O’ Noonan«, erklärte Niki und schaute ihm versonnen hinterher. »Er ist Ire und Nives’ Hexenkünsten verfallen wie kein Zweiter.«
»Papperlapapp, Hexenkünste! Was redest du denn schon wieder für einen Unsinn, Niki? Du verschreckst Marie«, wies Nives Hulda, die nun ebenfalls zu uns getreten war, ihre Mitarbeiterin sanft, aber bestimmt zurecht. »Es tut mir leid, dass meine Sitzung länger gedauert hat, aber Veränderungen brauchen eben ihre Zeit. Alles dauert so lange es dauert!«
Ich verkniff mir ein Grinsen, weil der letzte Satz auch aus dem schier unerschöpflichen Zitaten-Schatzkästchen von Dr. Willibald Hahn hätte stammen können.
»Aber nun komm mal mit Marie, Niki schafft das hier auch allein, nicht wahr?«
»Aber klar doch, Boss, auch wenn ich nichts gegen ein bisschen Hilfe einzuwenden hätte. Die Biberwäsche-Muttis sind wieder im Anmarsch, und um dieser Invasion standhalten zu können, braucht man Nerven wie Drahtseile.« Nives hob ihre linke Augenbraue: »Halt dich mal ein wenig mit deinen bissigen Kommentaren zurück. Diese Muttis zahlen dir immerhin dein Gehalt«, entgegnete sie und dirigierte mich in Richtung Hintertür, aus der vorhin der Ire gekommen war.
Wir betraten ein Treppenhaus, das ich in dieser Form nicht erwartet hätte. Es stand in einem krassen Gegensatz zu dem rot geklinkerten Fabrik-Design, das den Charakter des Ladens ausmachte. Von einem Moment auf den anderen eröffnete sich mir eine vollkommen andere, verzauberte Welt, die sehr an eine Puppenstube erinnerte. Unter unseren Schritten knarzte das morsche Holz der
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