Goldmarie auf Wolke 7
Melde mich,
sobald ich wieder da bin.
Dylan
»Häh?!?« Jule guckte in der Schule genauso dumm wie ich, als ich heute Morgen diese SMS gelesen hatte, die Dylan nachts um vier abgeschickt hatte. »Und nun?« Ratlos zuckte ich mit den Schultern. »Ich schätze mal, das war’s, was sonst? Da vorne kommt übrigens André, lass uns schleunigst hier verschwinden!« Wir sprinteten in die andere Richtung und flüchteten vom Pausenhof in die Eingangshalle, wo es angenehm leer war. »Scheint so, als hätten wir beide gerade kein besonders glückliches Händchen in Sachen Liebe«, seufzte Julia und biss in ihr Käsebrötchen. »Ich persönlich habe gerade echt die Nase voll von Typen. Aber irgendetwas in mir weigert sich zu glauben, dass das mit dem Iren und dir vorbei sein soll. Dazu klang das alles zu harmonisch und wunderbar. Du warst doch sogar schon bei seiner Familie eingeladen.«
»Du doch auch. André war schließlich auch ganz wild darauf, dich seinen Eltern in Paris vorzustellen … und seinem neuen Cabriolet.« Jule verschluckte sich und auch ich musste über meinen eigenen Witz lachen, obwohl mir viel eher zum Heulen zumute war. Mein erster Impuls am Morgen war gewesen, eine spontane Grippe vorzutäuschen, mir daheim die Decke über die Ohren zu ziehen und nie, nie wieder aufzustehen. Wieso tauchte Dylan plötzlich einfach so ab? Diese Reise war doch unter Garantie schon länger geplant gewesen, warum erzählte er mir erst so spät davon? Und weshalb wollte er sich erst melden, wenn er wieder da war? Gab es an diesem mysteriösen Ort etwa kein Telefon, keine Internetverbindung? Wohin wollte er? Nach Birma, auf den Nanga Parbat oder zu den Amish-People? Natürlich war ich kurz davor gewesen, ihm genau diese Fragen per SMS zu stellen, doch zum Glück gewann mein Stolz die Oberhand.
Also war ich tapfer zur Schule gegangen und vertraute darauf, dass Julia irgendetwas Schlaues dazu einfiel. »Ich würde ihn an deiner Stelle anrufen«, überlegte sie laut. »Bevor du dich unnötig quälst und dir den Kopf darüber zerbrichst, was das alles zu bedeuten hat, kannst du die Dinge klären und weißt am Ende wenigstens, woran du bist. Selbst wenn es im schlimmsten Fall bedeutet, dass Dylan sich geirrt hat und nun doch keine Beziehung mehr mit dir möchte.« Der letzte Teil des Satzes verursachte mir ein übles Ziehen in der Herzgegend. »Aber wenn es so wäre, muss er doch trotzdem nicht gleich aus der Stadt fliehen. Wer bin ich denn? Hat er Angst, dass ich ihn stalke, drohe, mich umzubringen, oder bei Nur die Liebe zählt auftrete, um ihn zurückzugewinnen? Ich heiße doch nicht Niki!« Kaum hatte ich diesen Namen laut ausgesprochen, wurde mir heiß und kalt. Auch von Niki hatte sich Dylan zurückgezogen, als ihm klar wurde, dass sie ihm gegenüber mehr empfand als er für sie.
Als ich am Nachmittag bei Traumzeit ankam, traf ich als Erstes auf Delia, die heute ganz besonders bezaubernd aussah. Sie hatte ihr tizianrotes Haar zu einem lockeren Knoten aufgesteckt, aus dem seidige Strähnen herausschauten und eine Art Strahlenkranz um ihr Gesicht bildeten. Als sie mich bemerkte, griff sie sofort nach einer Postkarte und reichte sie mir. »Die ist für dich«, rief sie fröhlich und schwenkte das Bild vom Buckingham Palace. Mit klopfendem Herzen drehte ich die Karte um und konnte kaum glauben, was ich las: »Marie, ich schreibe dir aus London, wo ich seit meiner Kündigung bei Nives bei einer Freundin untergetaucht bin. Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden! Niki.« Mir wurde schwindelig, die Buchstaben begannen, vor meinen Augen zu tanzen. Konnte es sein, dass Dylan Niki hinterhergeflogen war? War das Ganze nur eine Show gewesen, um mich rumzukriegen, und er war in Wahrheit doch mit meiner ehemaligen Kollegin zusammen? Ich verstand die Welt nicht mehr …
Eines aber verstand ich ganz genau: Ich musste jetzt so cool wie möglich bleiben und durfte ihn keinesfalls anrufen, egal, wozu Julia mir geraten hatte. Zum Glück war ich den Rest des Tages so mit Arbeit eingedeckt, dass ich kaum mehr denken konnte als Bald kann ich ins Bett, ich bin hundemüde . Nives, Delia und ich rotierten wie verrückt, um dem Kundenansturm standzuhalten, man spürte deutlich, es waren nur noch zwölf Tage bis Heiligabend. Weihnachten … Seit Papas Tod verlor dieses Fest bei uns immer mehr an Bedeutung. Erst wurde der Tannenbaum kleiner, dann noch kleiner und schließlich gab es nur noch einen Strauß mit Kiefernzweigen. Auch die Deko wurde insgesamt
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