Goldmarie auf Wolke 7
immer spärlicher (außer in meinem Zimmer!) und irgendwann ging nur noch ich als Einzige von uns in den Gottesdienst. Der Zauber, die Magie, die Wärme – all das war im Laufe der Jahre verloren gegangen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als all das wiederzufinden. Ein Teil von mir hatte gehofft, das zusammen mit Dylan erleben zu dürfen, womöglich sogar im Kreis seiner Familie. Als ich nach diesem anstrengenden und verwirrenden Tag nach Hause kam, fand ich zu meiner Überraschung Kathrin mit hochroten Wangen in der Küche vor. Sie war gerade dabei zu kochen. Es duftete köstlich nach gebratenem Knoblauch und ich sah voller Staunen die Zutaten, die sie vor sich auf der Arbeitsplatte ausgebreitet hatte: Rosenkohl, Kartoffeln, Wirsing, sogar Esskastanien. »Ja ist denn schon Weihnachten?«, witzelte ich und stellte mich neben sie. Kathrin lachte und drückte mir einen Kartoffelschäler in die Hand. »Noch nicht ganz, aber ich dachte, ich übe schon mal. Ich hab mir das Rezept heute Nacht ausgedacht und wollte es sofort ausprobieren. Lykke hat Sören eingeladen. Magst du nicht Dylan fragen, ob er auch Lust hat, heute Abend zu kommen? Ist zwar schon ein bisschen spät, aber vielleicht ist er ja so spontan.« Dylan ist zwar spontan, aber nur darin, sich klammheimlich aus dem Staub zu machen, dachte ich verbittert.
42. Lykke Pechstein
(Dienstag, 13. Dezember 2011)
Dear Diary,
abgefahren! Weißt du, was ich heute Nacht geträumt habe? Es war, als wäre ich die Grimm’sche Märchenfee persönlich! Achtung, ich zitiere:
Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: »Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken.« Die Faule aber antwortete: Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen«, und ging fort.
Ich frage mich, was dieser Traum mir sagen will. Soll ich an der Sache mit Ludmilla dranbleiben und weiterrecherchieren, bis sich mein Verdacht bestätigt? Oder will er mir nur sagen, dass ich für immer und ewig die Pechmarie aus dem Märchen sein werde und einfach grundsätzlich die A …-Karte ziehe – im Gegensatz zu meiner Schwester, der goldigen Miss Perfect, die es immer allen recht machen möchte. Obwohl, eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, nicht mehr so über Marie zu denken, reden oder schreiben. Sie hat sich gestern Abend Sören und mir gegenüber ziemlich cool und entspannt benommen und sich auch nach dem Essen ganz schnell verkrümelt. Dabei war sie zwar ein bisschen blass um die Nase, aber alles in allem hatte ich wirklich den Eindruck, dass es ihr nichts ausmacht, dass ich nun viel mit Sören mache. Jedenfalls hat sie sich sehr darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, obwohl ihr Dylan nicht mit von der Partie war. Morgen Abend wollen Sören und ich uns übrigens mal den Lagerraum am Schlachthof näher anschauen. Gut, dass er dabei ist, denn alleine hätte ich mich da unter Garantie nicht hingetraut! Ach, Sören … *GroßerStoßseufzer* Ich wüsste zu gern, was er von mir denkt und wie er mich findet. Keine Ahnung, welchen Typ Frau er mag. Kann (und sollte!) mir an sich auch egal sein, schließlich will ich ihn ja nicht heiraten. Oder doch? Ach, keine Ahnung! Meine Gefühle fahren Achterbahn und ich bin komplett verwirrt. Auf jeden Fall ist alles viel aufregender geworden, seit er in meinem Leben mitmischt. Und das ist doch auch schon was, oder?
Deine durchgeknallte Lykke
43. Marie Goldt
(Freitag, 16. Dezember 2011)
»Heute fällt Flamenco aus, weil Mercedes krank ist. Hast du zufällig Lust auf einen kleinen Bummel im Schanzenviertel? Ich hab noch nicht alle Geschenke für Weihnachten zusammen und bin ganz wild auf etwas Neues zum Anziehen! Im Übrigen brauchst du dringend Abwechslung, meine Liebe. Ist ja kaum mitanzusehen, wie du dich quälst.« Mit diesen Worten boxte Julia mich sanft in die Rippen, als wir nach dem Unterricht unsere Fahrräder aufschlossen, um nach Hause zu fahren. Mittlerweile war der Schnee platt gedrückt und die Straßen so gut gestreut, dass man sich wieder problemlos aufs Rad schwingen konnte. »Okay, überredet«, antwortete ich. »Aber nur wenn wir in den schönen Kitschladen in der Susannenstraße gehen. Da wollte ich nämlich noch nach Ohrringen für mich suchen.«
Kurze Zeit später stellten wir unsere Räder an der Post ab und starteten mit unserem Bummel. Doch sosehr ich mich auch bemühte, nicht an Dylan zu denken und mich zu amüsieren, es wollte mir
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