Goldmarie auf Wolke 7
nicht immer in deiner Nähe sein.‹«
Au Mann, da bekomme ja selbst ich weiche Knie. Im Gegensatz zu Marie habe ich meinen Dad allerdings gar nicht erst kennengelernt, weil er sich direkt nach meiner Zeugung aus dem Staub gemacht hat. Ob ich mal bei ihr klopfen und fragen soll, ob alles in Ordnung ist? Nicht, dass sie wieder umkippt und halb tot auf dem Teppich liegt. Vielleicht ist es aber auch irgendwie wichtig für sie, gerade jetzt zu spielen? Das Leben ist manchmal sehr verwirrend, vor allem, wenn man in dieser Familie lebt. Gut, dass wir jetzt Ferien haben, dann können sich alle wieder ein bisschen beruhigen und mal richtig ausschlafen – das ist gut für die Psyche! So, nun hat sie aufgehört. Gut! Wir müssen ja auch in spätestens zehn Minuten los, sonst schließt der Tannenbaum-Höker seinen Laden. Außerdem habe ich absolut keine Lust, zu spät zu meiner Verabredung mit Sören zu kommen! Schließlich habe ich ein kleines Geschenk für ihn. Schade, dass wir uns dann voraussichtlich eine ganze Weile nicht mehr sehen können, weil er bei seiner Familie ist. Mit Oma und allem Drum und Dran. Hach, wie gern würde ich mit ihm zusammen Silvester feiern und Wange an Wange mit ihm ins neue Jahr tanzen. In das neue Jahr, in dem angeblich am 21. Dezember die Welt untergeht, weil der Maya-Kalender endet. Was totaler Quatsch ist, weil ja jeder weiß, dass dann einfach nur ein neues Zeitalter beginnt – ähnlich wie bei uns zum Millenium, wo auch alle ziemlich hysterisch waren. Und was ist passiert? Richtig! GAR NICHTS! Und so wird es sicher auch diesmal sein. Und selbst wenn es doch geschehen sollte, weil der gefürchtete Sonnensturm kommt oder der Venustransit uns alle dahinrafft, dann würde ich an diesem Tag gern mit Sören zusammen sein. An seiner Seite kann mir nichts passieren, das fühle ich. Ich freue mich auf nachher. Das Leben kann auch schön sein, wie ich gerade feststelle.
Deine X-Mas-Lykke
52. Marie Goldt
(Samstag, 24. Dezember 2011)
Erste Rauhnacht – Heiligabend
»Erhebe dich aus der Dunkelheit und geh ins Licht«
Als ich frühmorgens die Vorhänge öffnete, um aus dem Fenster zu schauen, sah ich sie: zarte, filigrane Gebilde, in silbernes Winterlicht getaucht, wie dafür gemacht, die Menschen zu bezaubern, bis die Kraft der Sonnenstrahlen sie irgendwann schmelzen würden. Die Eisblumen an der Scheibe erinnerten mich schmerzhaft an den Strauß, den Dylan mir geschenkt hatte, und daran, dass wir schlussendlich im Streit auseinandergegangen waren. Was genau dazu geführt hatte – ich konnte es nicht wirklich sagen. Ein Wort war zum anderen gekommen, aber vermutlich war ich diejenige gewesen, die mit ihrer Unsicherheit und ihrem Misstrauen Dylan schließlich dazu gebracht hatte zu gehen. Das mit uns beiden soll einfach nicht sein, dachte ich traurig und warf einen letzten Blick nach draußen. Heute war Weihnachten, das Fest der Liebe.
Gleich würde ich zu Traumzeit gehen und am frühen Nachmittag in die Kirche. Danach wollten Kathrin, Lykke und ich zusammen kochen, den Baum schmücken und schließlich unsere Geschenke austauschen.
»Frohe Weihnachten, meine Liebe«, strahlte Nives und gab mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. »Geht es dir denn wieder besser? Ich denke, du solltest in Zukunft regelmäßig Eisentabletten nehmen. Junge Mädchen neigen ja schnell zu niedrigem Blutdruck und Schlappheitsgefühl.« Delia nickte zustimmend. »Wir wünschen uns beide, dass du fit ins neue Jahr startest! Guck mal, was ich hier für dich habe.« Aber Delia kam gar nicht mehr dazu, mir weiter Tipps zu geben, denn die Tür ging auf und herein kamen zwei Kundinnen. Beide sahen verfroren aus und hatten rote Nasen von der Kälte. Die eine begann sofort, sich im Laden umzusehen, die andere betrachtete erst mal uns drei. »Womit kann ich helfen?«, fragte Nives lächelnd.
»Ich weiß es im Grunde nicht genau«, kam es ein wenig zögerlich. Diese Antwort ließ mich aufhorchen und ich schaute mir die Dame genauer an. Gehörte sie zu diesen last-minute-Einkäuferinnen, die kurz vor Ladenschluss noch ein Geschenk suchten, weil Weihnachten immer so plötzlich kam?
Meine Augen folgten den beiden, während Nives mit ausladender Geste die Vorzüge bestimmter Bettwäsche-Kollektionen lobte, und sahen, wie die Dame mit schmalen blassen Händen die Stoffe befühlte. Obwohl sie scheinbar konzentriert zuhörte, irrte ihr Blick durch den Raum und verfing sich immer wieder in meinem. »Ich geh mal kurz nach
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