Goldmarie auf Wolke 7
»War’s denn schön in London bei Niki?«, ging ich auf Konfrontationskurs. Egal welche Ängste Dylan auch immer in Bezug auf mich geplagt hatten, das war alles kein Grund, einfach so sang- und klanglos abzuhauen und mich mit all meinen Fragen alleine zu lassen. »Ich war nicht bei Niki, wie kommst du denn auf diese absurde Idee?« Dylans Gesicht verfinsterte sich und er saß plötzlich kerzengerade auf dem Sofa. »Wo warst du dann?«, fuhr ich ungerührt fort. Ich würde diese Sache mit allen Konsequenzen durchziehen. Liebe erforderte Ehrlichkeit! Ohne die hatten Gefühle einfach keine Chance, das spürte ich tief in meinem Innersten. »Ich war zwar wirklich in London, aber nur, um dort ein Album aufzunehmen und einige kleine Club-Konzerte zu geben. Niki hat bei diesem Besuch keine Rolle gespielt, das kannst du mir glauben!«
»Und warum hast du mir verheimlicht, dass du eine Band hast und ihr demnächst sogar schon eure erste CD herausbringt?«
»Anfangs dachte ich, es sei egal. Dass ich Musik mache, ist ja nur ein Teil meines Lebens, genau wie die Fotografie oder meine Familie. Ich wollte nicht alles auf einmal erzählen, weil ich dachte: Hey, lass uns einander doch nach und nach entdecken. Außerdem spielt es keine Rolle, ob ich singe, fotografiere, schreibe oder einen Kuchen backe. Alles, was für mich zählt, ist, was wir beide füreinander sind. Ob es uns miteinander gut geht.« Ich schluckte schwer, denn Dylan sagte ungefähr das Gleiche wie der Fremde am Bootssteg. Vielleicht tickten Männer in dieser Hinsicht ja auch anders? Vielleicht hatten nur wir Frauen das Bedürfnis, gleich alles preiszugeben und den anderen in den kleinsten Winkel unserer Seele schauen zu lassen?! Nur Julia war diesbezüglich cooler. Bis man alles über sie wusste, vergingen Jahre. Aber genau das machte eine Beziehung natürlich auch spannend. »Habt ihr das Album denn fertig?«, fragte ich mit zittrigen Knien. Der Gedanke an Tausende kreischende Mädchen, die Dylan anschmachteten und Autogramme wollten, raubte mir jetzt schon den Atem. Warum musste ich mich auch ausgerechnet in einen Musiker verlieben? Ich persönlich glaube nicht an Zufälle, sondern daran, dass alles mit allem verbunden ist«, hallten die Worte von Dr. Hahn durch meinen Kopf. »Ja, wir sind fertig. Es kommt am ersten Januar in die Läden. Leider haben wir es nicht mehr zum Weihnachtsgeschäft geschafft, bis auf die erste Single, die man seit letzter Woche downloaden kann. Sie heißt übrigens Golden Girl.«
51. Lykke Pechstein
(Freitag, 23.Dezember 2011)
Ein Tag vor Heiligabend
»Mach dich bereit für die Ankunft der
strahlenden Göttlichkeit«
Dear Diary,
WAS für ein Tag! Nach all der Aufregung wegen Maries Ohnmachtsanfall tauchte gestern plötzlich der Ire wieder auf und brachte irgendwie alles noch mehr durcheinander. Keine Ahnung, was genau mit den beiden los ist, aber Marie ist immer noch voll von der Rolle. Sie hat sogar den wunderschönen Strauß aus weißen Tulpen und Christrosen im Wohnzimmer stehen lassen. Sollte Sören mir jemals Blumen schenken, würde ich sie trocknen und mit allem konservieren, was möglich ist, damit sie mir ein Leben lang erhalten bleiben. Ich sehe ihn nachher noch, denn wir wollen definitiv noch vor morgen herausfinden, was es mit den Backzutaten der Drachenlady auf sich hat. Laut Maries Chefin kann ich ja nach den Schulferien bei ihr anfangen, also habe ich keinen Grund, Ludmilla in irgendeiner Weise zu schonen, für den Fall, dass sie Dreck am Stecken hat. Sie hat sich geweigert, mir die Lagerräume zu zeigen, was ja schon eine Aussage für sich ist. Aber bevor ich Sören treffe, gehen wir noch alle zusammen den Tannenbaum kaufen, den Mum sich so sehr gewünscht hat. Meinetwegen wäre das ja nicht nötig, denn es gibt später eh nur Stress, wenn wir ihn im Garten ihrer Freundin einbuddeln müssen.
Aber Moment mal! Was ist das?
Spielt Marie etwa Bratsche?
Bin gleich wieder da, muss mal eben lauschen gehen! Wenn mich nicht alles täuscht, ist das der Song Winter von Tori Amos. Eine wunderschöne Melodie, nur furchtbar, furchtbar traurig.
So, bin wieder da – und fassungslos!
Marie hat seit dem Tod ihres Vaters kein Instrument mehr angerührt und spielt nun ausgerechnet dieses Lied, das selbst den größten Optimisten zum Melancholiker werden lassen könnte. Ich zitiere mal frei den deutschen Text: »Ich renne dorthin, wo die Strömung tiefer ist. Dornröschen sagt: ›Du musst lernen aufzustehen, denn ich kann
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