Goldmarie auf Wolke 7
hatte, nicht laut aufzustöhnen. Der Dämon war ein harter, unerbittlicher Gegner gewesen. Bereit, sein vermeintliches Eigentum bis auf den letzten Tropfen Blut zu verteidigen.
»Ich bin sofort wieder da«, verkündete Delba und ließ die Feenkönigin mit ihrem Schützling allein. Als sie wiederkam, bat sie ihre Herrin, sich auf die Chaiselongue zu legen. »Ich habe Euch ein Leinensäckchen mit überbrühten Holunderblüten gemacht, das wird Eure Ohrenleiden lindern«, sagte sie und lächelte. »Nutzt Eure eigene Medizin ruhig einmal für Euch selbst. Ihr werdet sehen, sie tut Wunder!« Die Feenkönigin nahm das Beutelchen mit dem Heilmittel dankbar an und tat, wie ihr geraten. Dann trat Delba ans Bett des Mädchens: »Und das hier ist für Marie. Irgendwann muss sie schließlich wieder aufwachen und in ihre eigene Welt zurückkehren!« Triumphierend schwenkte Delba ein kleines Glasgefäß mit Pulver. Die Feenkönigin schmunzelte, als sie sah, was die holde Priesterin vorhatte. »Nieswurz, die Königin der Nacht. Du denkst ja wirklich an alles, meine Liebe.«
»An alles, was Ihr mich gelehrt habt«, entgegnete Delba und häufelte vorsichtig eine kleine Menge auf einen silbernen Teelöffel. Diesen hielt sie der Schlafenden unter die Nase. Sobald sie einen Hauch des aus der Wurzel der Christrose gewonnenen Pulvers eingeatmet hatte, würde sie niesen – und erwachen.
Und dann blieb nur noch zu hoffen, dass sie sich weder an ihren Sturz in den Brunnen noch an den Kampf zwischen Nergal und der Feenkönigin erinnerte.
Und schon gar nicht an das Antlitz ihrer geliebten Mutter …
50. Marie Goldt
(Donnerstag, 22. Dezember 2011)
Die Zeit vor den Rauhnächten - vier Uhr morgens
»Seid empfänglich für den unendlichen Raum«
Die weiße Taube stieß pfeilschnell auf den Dämon hinunter. Meine Mutter schrie auf und wand sich unter dem Klammergriff ihres schwarz gekleideten Peinigers. Ich stürzte auf sie zu, um sie zu beschützen und endlich wieder ihre Hand halten zu können. Dann gab es einen Tumult. Schreie, Hilferufe und Blut … So unendlich viel purpurfarbenes, todbringendes Blut …
Und ein Blick auf meine Mutter, bevor ihr Bild sich in nichts auflöste.
»Marie! Marie, wach auf!« Irgendjemand rüttelte an meiner Schulter. Ich konnte nichts verstehen. Und ich war müde. So unendlich müde. Ich wollte nur schlafen und bei meiner Mutter sein. Doch anstatt endlich aufzuhören, wurde das Rütteln immer stärker. Also öffnete ich meine verklebten Augenlider und blinzelte. Mein Mund war trocken, meine Lippen rissig, meine Stirn so heiß, als würde mich ein inneres Feuer verbrennen. Und dann diese Arme, die mich umschlangen und festhielten wie eine gierige Python. »Marie, du hast nur geträumt. Bitte wach endlich auf, damit du erkennst, dass alles gut ist.« Gehörte diese traurige, beinahe schon bettelnde Stimme etwa Lykke? Ich zwang mich erneut, beide Augen zu öffnen und sie diesmal auch offen zu halten. »Gott sei Dank«, rief Lykke aus. »Ich dachte schon, du bist wieder ohnmächtig geworden!« Dann reichte sie mir ein Glas Wasser und setzte es an meine Lippen. »Trink das, es wird dir guttun.«
»Was ist denn hier los?«, wollte nun auch Kathrin wissen, die schlaftrunken im Türrahmen aufgetaucht war. Ich schaute auf meinen Wecker, es war kurz nach vier. »Marie hatte einen Albtraum. Ihre Schreie klangen, als würde sie jemand ermorden«, erklärte Lykke.
Kathrin setzte sich an den Bettrand und nahm meine Hand.
»Was hast du denn so Schlimmes geträumt?«, fragte sie und klang ehrlich besorgt. Doch sosehr ich auch versuchte, mich zu erinnern, es gelang mir nicht. Alles, was ich wusste, war, dass ich am vergangenen Abend bei Traumzeit zum zweiten Mal ohnmächtig geworden und später von Nives und Delia in ein Taxi gesetzt worden war. »Keine Ahnung«, flüsterte ich verwirrt. Ich wollte nicht, dass sich alle um mich sorgten, weil ich mal wieder aus der Realität gefallen war, wie Dr. Hahn so schön zu sagen pflegte. »Was hältst du davon, wenn ich dir jetzt einen Becher Melissen-Tee koche oder noch besser Baldrian gebe und du dich danach richtig ausschläfst. In der Schule wirst du ja vermutlich nicht mehr viel verpassen, oder?« Lykke ging zur Tür und sagte: »Ich erledige das«, während Kathrin näher an mich heranrückte. »Liebes, ich mach mir wirklich Sorgen um dich. Ich habe den Eindruck, dass dir die Therapie gar nicht guttut. Seitdem du bei diesem Doktor bist, wirst du häufiger ohnmächtig als
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