Goldmarie auf Wolke 7
Ich hab das Rezept aus dem Internet. Es hat übrigens nur wenig Fett und Kalorien, du wirst nachher also problemlos in dein Partykleid passen. Du feierst heute Abend doch hoffentlich, oder?« Ich konnte nicht antworten, sondern war vollkommen gefangen genommen von dem köstlichen Aroma des traumhaften Gerichts. Ich schmeckte Ingwer, Apfel und Rote Bete und noch irgendetwas, das eine ganz besondere Note in diese himmlische Gesamtkomposition zauberte. Nives betrachtete mich schmunzelnd, während ich vorsichtig eines der Klößchen aus Eischnee auf meinem Löffel balancierte. Es sah so wunderschön zart aus, man mochte es gar nicht hinunterschlucken. »Wenn du wissen möchtest, was noch in der Suppe ist, kann ich dir das Geheimnis verraten. Es ist Holunderbeersaft, wie es sich für ein Gericht von Frau Holle gehört.« Nives wusste, dass ich sie insgeheim so nannte, schien sich aber nicht daran zu stören. »Ich bin zusammen mit Lykke auf einer Party eingeladen«, erklärte ich. »Aber momentan habe ich ehrlich gesagt überhaupt keine Lust dahin zu gehen. Mir ist viel eher danach, daheimzubleiben und einen Film zu schauen.« Coyote Ugly zum Beispiel! Nives verzog das Gesicht, während Honeypie es sich unter dem Tisch auf meinem rechten Stiefel bequem machte. »Ach Marie, du bist doch so jung. Zu Hause herumsitzen kannst du, wenn du so alt bist wie ich. Gib dir einen Ruck, geh aus, lern nette Leute kennen und mach dir einen richtig schönen Abend. Nur so kannst du die bösen Geister des vergangenen Jahres wirklich vertreiben.«
»Ich habe übrigens wieder begonnen, Bratsche zu spielen«, flüsterte ich, um das Frettchen nicht zu wecken, das offenbar auf meinem Schuh eingeschlafen war. Nives blickte mich über den Tellerrand aufmerksam an. »Seit dem Tod meines Vaters habe ich weder das Klavier noch die Bratsche angefasst. Ich habe auch nicht mehr gesungen, weil es einfach zu wehtat.« Nives beugte sich ein bisschen vor und streichelte meinen Handrücken. »Und nun hast du festgestellt, dass es noch viel schmerzhafter ist, wenn du dich bestrafst, indem du nicht mehr das tust, was du am meisten liebst.« Ich versuchte, den dicken Klumpen in meinem Hals hinunterzuschlucken, und löffelte den Rest der Suppe aus.
»Das ist wirklich schön, Marie. Mit jeder dieser Entscheidungen gehst du ein Stückchen mehr ins Licht.«
Mit einer Verspätung von zwanzig Minuten (Schließlich musste ich noch den Sekt für die Party besorgen), traf ich in der Wunderblume ein. »Schön, dass du da bist«, begrüßte Clara Stein, deren Name auch auf der Visitenkarte gestanden hatte, mich und verschloss die Tür hinter mir. »Sonst kommen noch irgendwelche Kunden, denen erst jetzt einfällt, dass sie heute Abend einen Strauß verschenken wollen«, erklärte sie augenzwinkernd und führte mich in den hinteren Raum.
Hier wurde es merklich kühler.
»Leider brauchen die Blumen diese Temperatur, aber im Aufenthaltsraum ist es wärmer, versprochen.« In der gemütlichen Wohnküche der Altbauladenwohnung erwartete mich die Dame, die mich gefragt hatte, ob ich Lust hätte, die Schaufensterdekoration zu übernehmen. Ihr Name stand weder auf der Visitenkarte noch auf der Website. Sie gab mir die Hand und lächelte ein scheues, beinahe verlegenes Lächeln.
»So, dann lasse ich euch beide mal allein. Ich muss nämlich dringend los, um meine Silvesterparty vorzubereiten. Aber ich denke, ihr kommt auch ohne mich klar. Tschüss Marie, ich wünsch dir einen guten Rutsch und hoffe sehr, dass wir uns im neuen Jahr häufiger sehen.« Ein klein wenig verblüfft über diesen plötzlichen Abgang schaute ich Clara hinterher. »Möchtest du Tee oder lieber Kaffee?«, fragte mich die Dame, die offenbar kein Interesse daran hatte, sich namentlich vorzustellen. »Ich kann auch Latte macchiato machen. Wir haben sogar verschiedene Aromen wie Vanille, Mandel oder Karamell. Passend zur Winterzeit.« Wieder dieses schüchterne, beinahe entschuldigende Lächeln. »Machen Sie sich keine Mühe, ich nehme gern einen einfachen Schwarztee oder grünen, wenn Sie den haben.« Ich sah ihr zu, wie sie den Wasserkocher anstellte und mit zittrigen Händen einen Beutel Tee aus der Verpackung nahm. Allmählich wurde mir mulmig.
Was ging hier vor?
Warum war ich hier?
Ging es wirklich nur um einen Job?
»Liebe Marie, ich bin sehr, sehr aufgeregt. Ich habe nämlich einen weitaus wichtigeren Grund, dich zu treffen, als nur wegen der Schaufenster«, sagte die Dame ohne Namen. Ich wärmte
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