Goldmond
großer Faranbaum, erkennbar an den über faustgroßen, rotgelben Früchten, die büschelweise daranhingen. Als er sich vorsichtig näherte, erkannte er in der Dämmerung, dass sich dahinter ein Höhleneingang befand. Sanara begann bereits, sich an den tiefer hängenden Zweigen des Baums hochzuziehen, um den Eingang zu erreichen. Schon bald war sie in den Zweigen des Baums verschwunden. Nur ein leises Rascheln war noch zu hören.
Telarion folgte ihr nicht sofort. Er blieb stehen und sah sich erneut um. Er hatte das Gefühl, sie würden beobachtet, durch die Schatten der Dämmerung und den abendlichen Dunst hindurch. Ihm war, als stünden hinter den dunklen Stämmen der Sintafruchtbäume Gestalten im Nebel, auch wenn seine Heilersicht ihm sagte, dass dort keine Magie zu finden sei.
Langsam ging er am Saum des Wasserkornfeldes vorbei, um möglichst wenig in das dunkle Wasser des Feldes treten zu müssen, auch wenn der Nebel dort dichter wurde, als er neben sich ein Geräusch hörte. Ein leises Rascheln, als husche ein Nagetier durch das Unterholz des Gartens.
Telarions Hand fuhr an das daikon , das er an der Hüfte trug. Er wirbelte herum, doch da war nur ein Nebelschwaden. Verwirrt hielt er inne, als mit einem Mal eine Gestalt aus dem Nebel auf ihn zugestürzt kam. Ein Elb, ein Soldat, eine Klinge hoch erhoben.
Telarion riss das Schwert aus der Scheide, doch der anderewich nach hinten aus. Telarion wollte ihm nachsetzen, doch er stolperte über etwas, von dem er hätte schwören können, es sei einen Herzschlag zuvor noch nicht da gewesen. Bevor er sich wieder fangen und erheben konnte, traf ihn etwas Hartes auf den Hinterkopf. Schmerz explodierte und löschte alle Gedanken.
Es war Sinan, als ebbe der Gesang, mit dem er die Runen in das Schwert des Heilers gegraben hatte, nur langsam ab. Die Klänge hatten ihn erfüllt wie die eigenen Herzschläge. Der Rhythmus der Melodie war ähnlich dem gewesen, mit dem er seinen Sickenhammer über den geschliffenen Stahl geführt hatte.
Das Lied, das er einst im Tempel des Westens gelernt hatte, hatte ihn bis in die letzte Körperfaser erfüllt. Er hatte es nur selten gesungen, seit er mit Sanara von dort geflohen war, und nie mit dem ernsthaften Wunsch, Metall zu gestalten. Es waren nur Ausschnitte des Gesangs gewesen, der, wenn man ihn richtig anwandte, über Tage hinweg andauerte. Keine Tonfolge wiederholte sich, und Sinan erinnerte sich daran, wie mutlos er gewesen war, als der Älteste des Abendklosters ihn zum ersten Mal in das Geheimnis des Liedes eingeweiht hatte.
Dieser hatte ihn getröstet. Das Lied war von Meister Vakaran gesungen worden, als dieser Telarat dem Elbenkönig das Schwert gemacht hatte, zum Dank dafür, dass dieser ihn geheilt hatte. Das Grundthema war einfach gewesen, es überbrückte etwa eine Zeitdauer, die der Roten Stunde entsprach. Als Sinan nach dem Rest gefragt hatte, gab der Älteste zur Antwort, dass Sinan es wissen würde, würde er je in die Lage kommen, seine Magie in dieser Form anzuwenden.
Erst jetzt, da das daikon Telarion Norandars hier in Sinans Hand lag und langsam abkühlte, begriff der Schmied, was der Älteste damit gemeint hatte.
Die Melodie konnte nicht erlernt werden. Nicht zur Gänze, denn sie hing davon ab, für wen das Schwert gemacht wurde.So war nur das Grundthema über die Zeiten hinweg von einem Meisterschmied an den anderen weitergegeben worden.
Sinan genoss die Arbeit, die nun vollendet war, und das Schimmern des Metalls, das hier in dem kleinen Schmiederaum rotgolden war. Für einen Moment glaubte er, das läge an seinem Gesang, der noch in seiner Seele und in seinem Herzen nachklang, obwohl die Töne seine Kehle längst verlassen hatten. Zum ersten Mal hatte Sinan seinen Gesang wahrhaftig gesehen. Er hatte ihn nicht nur gehört, nicht nur anhand seines Herzens und seiner Hammerschläge empfunden, auch seine Sicht war voller Licht gewesen, dem Gelb des Feuers und dem Rot des Metalls, aber auch dem Silber der Ys, mit dem er den Klingenrücken beschichtet hatte. Erstaunt sah er zu, wie der Gesang zu farbiger Magie wurde, die in das daikon überging und dann in dem Maß verblasste, in dem sich der Stahl abkühlte.
Erschöpft aber zufrieden legte er den Kopf in den Nacken. Erst jetzt bemerkte er, dass der Silbermond als Einziger am Himmel stand. Und dass das Lied in ihm genau jetzt zum Ende gekommen war, bewies ihm, dass der Älteste recht gehabt hatte. Wahrer Gesang, wahre Magie erlernte man nicht. Sie wurde einem
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