Goldmond
geschenkt.
Sein Blick richtete sich auf die Klinge vor ihm, die nun silbrig hell leuchtete. Als er das daikon vor die Augen hob, um sich die Runen des Lebens, der Luft, der Kälte und des Feuers noch einmal anzusehen, war ihm, als schimmerten die in das Silber getriebenen Glyphen silbrig auf. Es war, als sei die Kraft der Roten Sonne und der Zwillingsmonde in das Metall gesunken und erhalte nun von Ys selbst den Segen.
Sinan erhob sich und strich mit dem Daumen über die Schneide der leicht gekrümmten, schlanken Klinge. Beinahe sofort zuckte er zurück. Er hatte sich in den Daumen geschnitten, so scharf war sie. Zufrieden nickte er, dann nahm er ein wenig reines Tsuba-Öl und rieb die Klinge damit ein. Der schwere Blütenduft des Öls verbreitete sich schnell in der Waffenkammer und überlagerteden feurigen Geruch nach verbranntem Steinöl, dem Torf und Schwarzsteinen, die für die Esse gebraucht wurden.
Schließlich schob er das fertige Schwert in die Scheide, die er noch in Farokant eigenhändig aus Holz, Brokat und den Bändern und Fäden der Raupen des Moruskäfers gemacht hatte.
Stolz betrachtete er sein Werk ein letztes Mal und atmete durch.
Erst jetzt schien er wirklich wieder in der realen Welt anzukommen. Verwundert sah er sich um. Es war still geworden, nun, da die letzten Töne seines Gesangs aus seiner Seele in das Schwert geflossen waren. Und doch war Sinan bewusst, dass er mehr hätte hören müssen als nur das leise Singen des Windes in den verzweigten Gängen, die den Tafelberg durchzogen. Da hätte es Hämmern aus den Schmieden geben müssen, Wispern, das von den Gebeten in der Haupthalle hinunter in die Höhlen und Werkstätten zog, Schritte der – wenn auch wenigen – Shisans, die hier lebten und die wussten, dass er hier arbeitete, wie ein Pilger unter vielen, der sich für eine Weile in den Berg zurückgezogen hatte, um eine Veränderung zu erbitten und das notwendige Opfer dafür zu erbringen.
Doch da war nur Stille, obwohl er sich, wie er wusste, in einem abgelegenen Teil des Heiligtums befand. Einem, der nicht überwacht wurde, wenn es richtig war, was er in den letzten Tagen in Erfahrung gebracht hatte. Niemand, nicht einmal die Elben konnten über alle Höhlen, alle Räume des Heiligtums Bescheid wissen, besonders nicht über den aufgelassenen Eingang an der Westseite des Bergs.
Sinan horchte erneut in die Stille hinein, doch nichts war zu hören außer dem Ächzen und Stöhnen des Windes, der durch die Gänge und Höhlen strich. Für einen Moment glaubte Sinan, das Jammern eines menschlichen Wesens dringe an sein Ohr, ein unendlich leises Weinen. Doch dann sagte er sich, das sei nur der Wind. Was hätte es sonst sein können. Gewiss war selbst diese falsche Königin nicht so vermessen, hier, im Heiligtum eines Schöpfergeistes eines der Wesen der Zwillingsmonde oder auch nur ein Tier zu quälen.
Nun, was andere hier erbaten und opferten, war nicht seine Sache. Er war nach seinen Gesprächen mit Varashti sicher, dass Syth zwar mitunter schmerzhafte Veränderungen von seinen Geschöpfen erwartete, doch niemals verlangte, dass diese ihren Mitgeschöpfen schadeten. Wer dies hier in seinem Heiligtum tat, auf den fielen Schmerz und Qual vielfältig zurück, dessen war er überzeugt.
Er band sich das daikon des Heilers um die Hüften und ging zum Eingang. Ys würde noch ein paar Stunden am Himmel stehen, und wenn seine Berechnungen richtig waren, würden seine Schwester und ihr Gefährte dort auf ihn warten, um ihr Ritual vornehmen zu können, sobald der Silbermond im Zenit stand.
Der Eingang selbst war nicht mit einem Türblatt versehen, sondern führte auf einen schmalen Absatz hinaus, auf dem nur noch wenige Reliefs im verwitterten Kalkstein erahnen ließen, wie reich verziert die Felswand hier einst gewesen war. Die Stufen, die von dem Absatz aus ins Feld führten, waren bereits abgebrochen und kaum noch begehbar. Die Frage, warum man diesen Eingang so hatte verfallen lassen, schoss Sinan durch den Kopf, doch dann schien es ihm konsequent. Im Heiligtum des Schöpfergeistes der Veränderung hingegen etwas zu erhalten wäre inkonsequent.
Sinan betrachtete den Baum, der den Eingang verschloss und gegen Blicke abschirmte. Süßer Duft von reifen Früchten stieg ihm in die Nase. Es war der Duft, den seine Schwester in sich trug, und für einen Augenblick wusste Sinan nicht, ob er von Sanara herrührte oder von den Faranfrüchten ausging, die er im Halbdunkel am Baum erkennen
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