Goldmond
geschlossen und sang. Es klang, als sänge der Totennebel selbst, aus dem die Jenseitige Leere bestand, und brächte alle Trauer, alle Einsamkeit und allen Schmerz mit sich in die wirkliche Welt. Es war, als einten sich Verlorenheit und Agonie in dieser Frau vor ihm und gäben ihr Kraft.
Telarion schloss die Augen, sprach ein paar Worte des Lebens, die es der Seele, der Magie, untersagten, je wieder Form anzunehmen, und ließ anschließend die Klinge schräg niederfahren. Dabei drehte er sich halb um sich selbst, sodass die scharfe Schneide über Iretis Kehle glitt.
Blut sprudelte hervor, der Gesang brach ab.
Telarion sprang zurück.
Iretis Hand fuhr an die grausige Wunde, doch ihre Finger konnten sie nicht schließen, das hervorschießende Blut nicht in ihren Körper zurückbringen. Ihr Kopf ruckte nach vorn. Sie versuchte noch einmal, ein paar Töne hervorzubringen, doch außer einem Krächzen war nichts mehr zu hören.
Doch es ging zu langsam. Die Linke, die magische Hand, auf die Wunde gepresst, streckte sie die Rechte aus und wollte damit Zeichen in die Luft weben. Telarion kannte die Symbole nicht, dennoch dachte er kaum nach, als sein Schwert erneut durch die Luft pfiff und ihr die Hand vom Körper trennte.
Dann hieb er erneut zu. Die Klinge durchbohrte ihre Brust. Sofort zog er sie wieder hinaus und fing Iretis Sturz ab.
»Ihr Schöpfergeister, ich beschwöre Euch, lasst ihre Seele zu Nebel werden, auf dass sie in Ewigkeit keine Form mehr annehme«, murmelte er und ließ den leblosen Leib der Ireti Landarias auf den steinigen Boden gleiten.
Er stand auf und sah sich um. Viele der Elbensoldaten saßen noch erschöpft und schockiert herum, andere halfen ihnen dabei aufzustehen. Auf den ersten Blick konnte Telarion keinen entdecken, der dringend eines Heilers bedurft hätte.
Gahariet trat auf ihn zu und warf einen Blick auf Iretis Leichnam. »Wer nun noch anzweifelt, dass diese Frau eine Verräterin war, der verdient den gleichen Tod wie sie«, sagte er langsam.
Telarion schloss die Augen. Die Finger seiner Schwerthand öffneten und schlossen sich wieder und wieder, doch das klebrige Gefühl des Blutes, das von der Klinge herab auf seine Hand lief, blieb.
Er hatte sich oft vorgestellt, wie es sein würde, wenn er seinen Vater rächte. Und seinen Zwilling, der, dessen war er überzeugt, vom Machthunger seiner Gemahlin verführt worden war. Es hätte sich gut anfühlen müssen, für Gerechtigkeit zu sorgen. Damit endlich Frieden einkehren konnte.
Doch die Genugtuung wollte sich nicht einstellen.
Er sah auf seine Hand hinab. Sie war verklebt von Blut, doch auch seine Seele kam sich besudelt vor. Beschmutzt, dass er diese verderbte Verräterin getötet hatte, die das Siegel und damit die Macht über die Welt hatte an sich reißen wollen.
Das Siegel.
Siedend heiß fielen Telarion wieder ihre Worte ein. Doch das Siegel der Ys ist Euch verloren. Es ist in meiner Hand, es wird in den Nebeln festgehalten, und kein Mondgeschöpf wird es mehr aus der Fessel befreien können, mit der ich es belegte!
Er fiel auf die Knie, legte eine Hand auf Iretis Brust und betrachtete den Leichnam mit der Sichtweise des Heilers.
Die Welt wurde dunkler, als sich ein Schleier darüberlegte. Hinter Iretis Körper entstand eine Flamme, die alles Licht zu schlucken schien, eine Flamme aus Wasser, die alles verschlang, was ihr nahe kam, und die einen blauvioletten Rand hatte.
Iretis Seele. Sie war noch nicht fortgegangen.
Telarion murmelte noch einmal den Fluch des Vanar, den er ihr auferlegt hatte. »Ihr Schöpfergeister, ich beschwöre Euch, lasst ihre Seele zu Nebel werden, auf dass sie in Ewigkeit keine Form mehr annehme!«
Dunkles Lachen hallte in der Finsternis wider.
Es ist zu spät, Heiler. Du magst mich töten, mich hindern, meine Aufgabe zu erfüllen, doch auch deine Hoffnung ist dahin. Unwiederbringlich. Der Schmied hat meinen Bruder getötet, du hast meinen Körper zerstört und meine Seele verbannt – doch wenn du glaubst, du hast das Leben gewonnen, irrst du.
Es ist zu spät.
Unwillkürlich streckte Telarion die Hand aus, so als wolle er die dunkle Flamme packen und sie strafen. Doch seine Hand fuhr durch sie hindurch.
»Es ist zu spät!«
Die Worte durchfuhren Telarion wie ein Messer. Er blickte auf. Hinter Iretis Leichnam erhob sich vor dem nachtblauen Himmel der Tafelberg. Fackeln deuteten an, wo sich das große Portal des Heiligtums befand. Die Tore waren geöffnet. In dem Muster der reich verzierten
Weitere Kostenlose Bücher