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Goldmond

Goldmond

Titel: Goldmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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Akusu, dass Syth nichts weiter ist als die Vernichtung. Sie beschuldigen sich gegenseitig, dem Geliebten der Ys zu dienen und damit dem Gegensatz der Harmonie – dem Chaos, das sie auch Zerstörung nennen. Doch sie vergessen, dass auch die ewige Harmonie eine Vernichtung allen Lebens, wie wir es kennen, bedeutet. Das eine kann nicht ohne das andere existieren, keines hat eine Berechtigung ohne das andere. Selbst das Siegel, das die Welt bedeutet, besteht aus zwei Teilen: eines ist dem Syth, eines der Ys gewidmet. Nur wer sie beide besitzt, kann die Geschicke der Welt neu bestimmen.«
    Von der neuen Ordnung der Welt
    Fünfte Rolle der Schriften des Klosters der Quelle
    B einahe trotzig trat Sanara ins Allerheiligste der Ys.
    Es war spät in der Nacht, dennoch hatte der Älteste der Weisen sie gebeten, an der Zeremonie, die beim Aufgang des Silbernen Mondes zu Ehren des Schöpfergeistes der Harmonie abgehalten wurde, teilzunehmen.
    Sanara wusste, warum. Telarion Norandar war auf Geheiß des Abtes zu ihr gekommen – so hatte er es zumindest gesagt – und hatte sie gebeten, mit ihm zusammen das Siegel zu finden, das vielleicht das Chaos der Welt heilen konnte. Doch statt ihre Pflicht zu tun, hatte Sanara den Fürsten der Elben abgewiesen. Mehr noch, sie hatte ihn auf unhöfliche Weise ihres Zimmers verwiesen. Und seither schämte sie sich.
    Sicher würde der Abt ihr noch einmal ins Gewissen reden wollen. Doch die Halle schien zu ihrer Überraschung leer. Nur eine einzige Gestalt, die eines hochgewachsenen Mannes, kniete vor der silbrig schimmernden Alabasterkugel, die auf dem Altar genau im Norden des Raums stand und im Mondlicht schimmerte, als würde sie von innen beleuchtet. Er rührte sich nicht und schien ganz in seine Meditation versunken.
    Der Norden, die Kälte, die alles konservierte und in der alles erstarrte, war die Himmelsrichtung der Ys, und so war alles in diesem Tempelraum darauf ausgerichtet. Die gesamte Fläche des Raums war mit einem Dach aus Glas überdeckt; eine Reihe von Säulen umgab den Boden, den man mit Kacheln aus silbrigem und weißem Glasfluss geschmückt hatte. Weil es der höchste Raum des Klosters war – die anderen Gebäude lagen wesentlich tiefer darunter am Berg –, hatte man den Eindruck, er schwebe über der bekannten Welt. Und so erinnerte er Sanara schmerzhaft an die Vision, mit der Ys sie – oder ihr Seelenbild? – und den Fürsten auf den Berg Seleriad geholt hatte.
    Die Malereien an den wenigen schmalen Wandstücken zwischen den Säulen zeigten, wie Ys und Syth sich in dem Ei, das sie vor der Schöpfung der Welt bewohnt hatten, gestritten hatten, wie es daraufhin explodiert war und die beiden Schöpfergeister in die Leere getreten waren, in der die freigelassenen Elemente wüteten. Wie sie Licht und Dunkelheit, Wasser und Land, Himmel und Erde voneinander geschieden hatten, wie Ys aus den Resten des Eis die Sterne geschaffen und diese über der Welt ausgegossen hatte, auf dass Land und Wasser Licht erhielten. Es war Ys’ ordnende Hand, die den grenzenlosen Einfällen des Syth Bestand verliehen hatte, sodass schließlich alles, was gedacht wurde, auch Wirklichkeit werden konnte.
    In Sanara blieb dieser Gedanke hängen. Die Wirklichkeit war aus Magie geschaffen, Magie. Vielleicht konnte auch sie, als Gesegnete der Ys sich die Wirklichkeit machen, wie sie es wünschte und den Fehler, den sie begangen hatte, wiedergutmachen.
    Sie schlug das Zeichen des Schöpfergeistes und glitt leise, um den Shisan dort vorn nicht zu stören, auf eine der Bänke, die für die Betenden bereitstanden. Der herbe, trockene Duft von Baumharz lag in der Luft, es war kühl. Doch das störte Sanara nicht. Es schien ihr, als wolle Ys so den Aufruhr in ihr beruhigen. Sie brauchte Frieden.
    Sanara kannte die genauen Riten nicht, mit denen man Ys anrief. Doch sie konzentrierte sich auf die eintönigen, gemurmelten Gesänge, die sie in ihrer Zeit hier gelernt hatte, die Gebete und die Abfolge der Liturgie, um den Aufruhr in ihrer Seele, den der Besuch Telarion Norandars hinterlassen hatte und der den ganzen Tag nicht hatte weichen wollen, zu beruhigen. So sehr nahm der Fürst – seine unbestreitbare Würde, sein vornehmer Ernst und das, was er gesagt und auch, was er nicht gesagt hatte – Raum in ihren Gedanken ein, dass sie Ronans Versuche in der Nacht, sie in die Arme zu nehmen, abgewehrt hatte.
    Erst, als sie selbst auf die Galerie ihres Quartiers gegangen und in der nächtlichen Kälte der Berge

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