Goldmond
unter freiem Himmel gelegen hatte, war ein wenig Frieden gekommen. Doch der Schlaf war fern, sodass sie sich schließlich entschlossen hatte hierherzukommen.
Sanara wandte den Blick von der Alabasterkugel ab und dem eigentlichen Silbermond zu und genoss die silbrige Stille, die sein Licht im Gebetsraum erzeugte. Auf dem Silbermond waren – im Gegensatz zum Goldmond – Strukturen zu sehen. Vielleicht waren es Berge, so wie es auf dem Akusu Feuer gab. Die Weisen sagten, in den Strukturen sei ein Gesicht zu sehen, das Gesicht der Ys; weise, alt und zugleich jung wie der Mond selbst, der jede Nacht verblasste und doch in der nächsten neu aufging.
Sanara versuchte, es zu erkennen – so, wie sie es einst in ihrer Vision auf dem Berg Seleriad erlebt und gesehen hatte – und fühlte sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft hier angenommen.
Ein unterdrückter Ausruf riss Sanara aus den friedlichen Gedanken. Unwillig sah sie auf den Shisan, der weiter vorne vor demAltar kniete und ihn von sich gegeben hatte. Er hatte sich zuvor nicht gerührt, sodass sie geglaubt hatte, er meditiere. Doch jetzt fiel die Hand, die er vorher mit der Handfläche nach oben ausgestreckt hatte, flach und heftig auf den Boden und verursachte ein dumpfes Geräusch. Es sprach von der Unzufriedenheit und Entmutigung, die dieser Shisan zu empfinden schien und ließ Sanara zusammenzucken. Sie wusste nicht, was es war, aber offenbar hatte etwas seine Versunkenheit gestört.
Das hat weh getan , dachte sie unwillkürlich und sah, wie der Priester das Gesicht in den Händen barg und sich nach vorn beugte, als flehe er Ys an, die Handlung, die er hatte vollbringen wollen, zu segnen – oder überhaupt erst zu ermöglichen.
Nach einigen Augenblicken straffte sich seine Gestalt wieder. Erneut streckte er die Hand aus, ein Wispern war zu hören; dann vermeinte Sanara auf der ausgestreckten Handfläche kurz ein Glimmen zu sehen – ob golden oder grün war nicht zu entscheiden –, doch es erlosch so schnell wieder, wie es entstanden war.
Es war die Farbe dieses Glimmens, das zarte Grün frischen Laubs im Frühjahr, das Sanara sagte, dass der Fürst von Norad dort saß und versuchte, Feuer auf seiner Hand zu beschwören.
Deshalb also hatte der Abt ihr so dringend ans Herz gelegt, zur Stunde der Ys hierherzukommen. Natürlich, jetzt konnte sie an der Silhouette erkennen, dass die Gestalt dort die Haartracht eines Heilmagiers trug – den Schopf, der einem aufgeplusterten Raben glich, dessen Gefieder man gegen die Wuchsrichtung gestrichen hatte. Selbst hier gab es nur wenige Heiler der Elben, die ihre Haare so trugen; ihre Magie bestand jedoch aus Wasser und war blau, nicht grün wie Wind und Kälte.
Sanara biss sich auf die Unterlippe und sah sich um. Der Ausgang war weit fort, sie hatte kaum eine Chance, ihn zu erreichen, ohne dass Telarion Norandar sie hörte. Und dann würde er genauso verlegen sein wie sie jetzt, da sie Zeugin seines Versagens geworden war.
Noch ein Grund wurde ihr bewusst, warum sie den Ausgangwohl nicht unbemerkt erreicht hätte. Neben dem Eingang stand eine weitere Gestalt, die bequem an einer der Säulen lehnte: der Hauptmann und Gefährte des Fürsten. Natürlich, er war nie weit von seinem Herrn entfernt.
Es half nichts. Sie musste sich bemerkbar machen.
Sanara fasste sich ein Herz, dann erhob sie sich und ging nach vorn zum Altar. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Hauptmann sich aufrichtete. Für einen Moment glaubte sie, sie sehe dort, wo seine Augen sein mussten, zwei dunkelgrüne Punkte zornig aufleuchten. Er blieb, wo er war, dennoch war Sanara sich jetzt bewusst, dass sie beobachtet wurde. Sie warf dem Hauptmann einen verächtlichen Blick zu und überließ ihn dann sich selbst.
Ihre Aufmerksamkeit galt nun Telarion Norandar, der die Augen geschlossen hatte und die Lippen bewegte, als meditiere er. Offenbar suchte er nach Worten in sich, die das Feuer, das er wohl zu beschwören versuchte, auf seine Hand rufen würden.
Vorsichtig kniete Sanara in einigem Abstand seitlich vor dem Fürsten nieder, sodass er die Kugel, die Ys versinnbildlichte, noch im Blick hatte. Er schien sie nicht zu bemerken. Seine dunklen geraden Brauen zogen sich zusammen, als seine Hand erneut schwach zu glühen begann. Doch das Licht wollte sich nicht entzünden.
»Ihr dürft das gelbe Element nicht mit Worten beschwören«, hörte sie sich sagen. »Es kommt vom jüngeren der Zwillingsmonde und gehorcht nur den gesungenen Tönen.«
Er
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