Goldmond
oder nicht, ich kenne sie. Ich habe sie einst bei den Shisans des Westens gelernt.«
Niavash nahm eine Bürste und reinigte den Amboss von den Überresten der Arbeit. Dabei sah er immer wieder zu Sinan, als sei er ebenso neugierig wie der Lehrling selbst.
»Das glaube ich, wenn du als Sklave am Hof der Elbenherren gelebt hast. Ich schlage dir folgendes vor: Bleib heute Nacht bei mir und meiner Familie, hier in der Werkstatt. Ich bin Niavash, und Rangi ist mein Lehrling.« Er hielt Sinan die Hand hin. »Wenn du dich mit einem Platz in der Nähe der Esse und zwei Mahlzeiten an einem Tag zufriedengeben kannst, würde ich mich freuen, wenn du eine Weile bei uns bliebest.«
In seinem Gesicht war Scham darüber zu erkennen, dass er dem unverhofften Gast nichts Besseres anbieten konnte.
Sinan zögerte ein wenig, die Hand zu ergreifen. Zu tief saß die Furcht, man könnte ihn an Elben verraten und wieder den Königsbrüdern ausliefern. Niavash vermittelte nicht den Eindruck, als sei er ein solcher Verräter, doch wer wusste schon, welche Nachteile ihm seine Freundlichkeit bringen mochten. Und hätte man einem Verräter seine Bosheit angesehen?
Doch schließlich gab Sinan sich einen Ruck und ergriff die Hand, die ihm dargeboten wurde. Er war es müde, jedem, dem er begegnete, zu misstrauen. »Ich freue mich, dir die Gesänge der Erze und des Schmiedefeuers beibringen zu dürfen, Niavash. Ich bin Sinan. Ich hoffe nur, dass dir deine Freundlichkeit einem ehemaligen Sklaven gegenüber keine Nachteile bringt.«
»Komm«, sagte Niavash. »Hab keine Furcht. Vielleicht weißt du es nicht, denn die Norani und die anderen Elbenherren werden sich hüten, diesem Gerücht unter ihren Sklaven Vorschub zu leisten. Aber in Farokant gelten die Gesetze und Regeln derHerrscher-Zwillinge von Norad nicht. Sie sprechen sie im Namen der Ys aus, der Erschafferin von Gerechtigkeit und Bestand, doch hier in Farokant hat die Ys nicht mehr Macht als die anderen Schöpfergeister. Ruh dich aus, meine Frau hat sicher schon ein Mahl bereitet.«
Er brachte Sinan durch die kleine Werkstatt, die zur Straße hin offen war, nach hinten in ein Zimmer, das sich daran anschloss und dessen Herd von der Esse mit gespeist wurde. Hinter dem Herdfeuer, vor einem Kessel, kauerte eine junge Frau, deren Haupt von dem hier allgegenwärtigen darstar gekrönt war. Das Tuch war von lebhafter Farbe und schillerte in violett-roten Tönen aller Schattierungen. Sie sah von ihrer Arbeit auf, als Niavash sanft an einem der unzähligen kleinen Zöpfe zog, die darunter hervorquollen.
»Lahita, das ist Sinan. Er wird – hoffentlich! – einige Zeit bei uns wohnen und arbeiten. Sinan, Lahita ist eine hervorragende Köchin, du wirst sehen.«
Lahita warf Sinan einen Blick zu, der zu seiner Überraschung belustigt wirkte. »Sei willkommen, Sinan, auch wenn mein Mann übertreibt.«
Sinan legte sein Bündel in eine Ecke, damit niemand darüber fallen konnte, und ließ sich an einem niedrigen Tisch nieder, auf den Rangi bereits ein paar Schüsseln und Löffel gestellt hatte. In der Ecke sah er eine Schlafstatt, daneben eine kleine Wiege aus gebranntem Ton, die mit der weichen Wolle von jungen Unguli gepolstert war und in der ein Säugling schlief. Er fühlte sich in Gegenwart der kleinen Familie wohl und aß mit großem Appetit das bescheidene Mahl aus gekochtem Getreide, in das Lahita getrocknetes Obst und Kräuter gegeben hatte. Zur Feier des Tages hatte Niavash ein wenig getrocknetes Fleisch von einem Haken neben dem Herd genommen.
Sinan war beschämt, sich so bewirtet zu sehen, wie es einem Fürsten gebührt hätte, doch er nahm sich vor, die Freundlichkeit Niavashs nach Kräften zu vergelten, und war dankbar, dass selbstdie kalte Magie des Fürsten von Norad die Lieder in ihm nicht hatte löschen können.
Das Essen verging schnell, dann schickte Niavash seinen Lehrling nach Hause. Ein wenig enttäuscht verließ Rangi die Werkstatt. Seinem Gesicht war deutlich anzusehen, dass er vermutete, Sinan erzähle nun viele Geschichten, die er verpassen würde. Erst als Sinan ihm zulächelte und versprach, er sei auch morgen noch da, nickte er kurz und verschwand.
Als Lahita das Geschirr hinüber zum Herd trug, neben dem eine Schüssel mit Waschwasser stand, goss Niavash ihm und Sinan ein wenig Wein ein. »Nun, wo wir allein sind: Erzähle, wo du herkommst, Sinan. Du stammst aus Guzar, nicht wahr?«
Sinan nickte. »Ich wuchs in der Nähe von Guzarat auf. Doch das Leben brachte mich
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