Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
für einen kurzen Augenblick den magischen Lauf der Kugel verfolgte, oder ob er hinter den roten Tableaus der Black-Jack-Tische auftauchte – jeder Croupier, jede Serviererin nahm sofort freundlich Blickkontakt mit ihm auf, lächelte ihn an oder nickte ihm zu.
Auf Sabrina übte diese ihr unbekannte Welt, die so augenscheinlich von Reichtum und Spielleidenschaft durchwoben war, sofort eine unglaubliche Faszination aus. Sie genoss dieses noble Flair, sog es mit tiefen Atemzügen gierig ein; unterschied es sich doch vollständig von ihrem kleinbürgerlichen Milieu, in dem sie sonst ihr nicht gerade mit Highlights überhäuftes Dasein fristete.
Aber hier war sie umgeben von Personen, welche die weitaus abwechslungsreichere, weil spannungsgeladenere Seite des Lebens repräsentierten. Und ihr gutaussehender, höflicher Begleiter, der ziemlich beeindruckt von ihr zu sein schien, signalisierte ihr unverhohlen, dass sie – wenn sie es nur wollte – ganz schnell zu einem Teil dieses glamourösen Lebens werden könnte.
Der Vortrag, den Carlo Weinhold anschließend in einem Nebenzimmer hielt, war genauso beeindruckend wie die Personen, die sich zu dieser Informationsveranstaltung in der Bad Dürkheimer Spielbank eingefunden hatten. Die Gespräche, die Sabrina während einer kurzen Pause, in der Champagner und Kaviarschnittchen gereicht wurden, mithörte, überzeugten sie davon, dass es sich bei den Anwesenden hauptsächlich um sehr wohlhabende Mitmenschen handelte, die sich auf ihrer permanenten Suche nach lukrativen Geldanlagen hier eingefunden hatten.
Am Ende der Veranstaltung wurden den Gästen von Mitarbeitern der Firma MPI , zu denen auch Geiger zählte, als kleines Präsent kostenlose Jetons überreicht, mit denen sich die meisten von ihnen dann auch anschließend an die verschiedenen Rouletttische begaben.
Zur gleichen Zeit, als Sabrina Schauß sich wie ein übermütiger Goldfisch im Teich der großen Welt tummelte und ihren Wetteinsatz an einem sogenannten Quicktable verspielte, hatte sich Tannenberg gerade auf seine alte Ledercouch gelümmelt und wartete geduldig auf die Tagesschau. Da es bis zum 20-Uhr-Gong noch einige Minuten dauerte, schnappte er sich die Fernsehzeitung und blätterte lustlos darin herum.
»Oh Mist!«, brummte er schon wenig später laut vor sich hin. »Das muss doch jetzt wirklich nicht sein!«
Aber er wusste ganz genau, dass Jammern jetzt überhaupt nichts mehr nutzte. Denn ihm war sofort, als er die Programmankündigung gelesen hatte, sonnenklar gewesen, dass er diesem Film genauso wenig zu widerstehen vermochte, wie ›Dinner For One‹ am Silvesterabend. Da er aus leidvoller, langjähriger Erfahrung antizipieren konnte, was ihn noch an diesem Abend erwarten würde, quälte er sich mühsam in die Küche und kehrte bereits kurze Zeit später mit einer neuen Flasche Chardonnay zu dem Ort des ihn erwartenden Martyriums zurück.
Obwohl er sich die Abendnachrichten regelmäßig anschaute, erzeugte die Magie dieser großen, sich auf markantem hellblauem Hintergrund langsam auf ihr Ziel zubewegenden, weißen Leuchtziffern jedes Mal wieder aufs Neue einen rational kaum nachvollziehbaren inneren Spannungszustand, der sich erst mit dem erlösenden 20-Uhr-Gong und einem zeitgleich zelebrierten tiefen Schluck aus seinem Weinglas zaghaft reduzierte. Diese Nachrichtensendung war für ihn eine Art Nationalheiligtum mit Suchtcharakter. Keiner durfte ihn bei diesem allabendlichen Ritual stören; nicht einmal zu einem Telefongespräch stand er in dieser ihm heiligen Viertelstunde zur Verfügung.
Schon bei der Filmmelodie musste er mehrmals schlucken.
Aber richtig los ging es immer an der Stelle, als Kaiser Franz-Josef von Österreich auf der Kutschfahrt zu seiner Geburtstagsfeier nach Ischl, wo er gegen seinen Willen mit der Prinzessin Helene von Bayern verlobt werden sollte, ein burschikoses, junges Mädchen traf, in das er sich sofort verliebte; er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, um wen es sich in Wirklichkeit handelte. Erst als beim Abendball die adligen Gäste vorstellt wurden, erkannte er, dass es sich bei seiner Begegnung mit dem ihm unbekannten Mädchen um Elisabeth, die Schwester von Helene gehandelt hatte.
Das war die erste Stelle!
Als der junge Kaiser die Situation entschlüsselt hatte und auch dem begriffsstutzigsten Zuschauer inzwischen seine Liebe zu Sissi klar geworden war, begann Tannenbergs Kinn zu zittern, um den Mund herum zuckte es, seine Augen füllten sich mit
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