Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
Schönthaler hatte dieses merkwürdige Phänomen durch seine recht unsensible Äußerung sozusagen objektiviert, diese unwirkliche Erscheinung ihres illusionären Charakters beraubt.
Wolfram Tannenbergs Magen verkrampfte sich.
Trotz der Kälte begann er zu schwitzen.
Sekunden später zitterte er wie Espenlaub.
Der Pathologe legte seinen linken Arm auf die Schulter des Kriminalbeamten, sehr wohl bedacht darauf, dabei dessen verletzten Unterarm nicht zu berühren. Dann zog er ihn leicht zu sich herüber.
»Alter Junge, diese blöde Bemerkung tut mir Leid. Das hätte ich mir wirklich sparen können«, versuchte er sich mit gedämpfter Stimme zu entschuldigen.
Er kramte ein akkurat zusammengefaltetes, weißes Leinentaschentuch aus seiner Hose und reichte es Tannenberg, der es auch dankend annahm und damit die feuchten Stellen um seine Augen herum abtrocknete.
»Aber du hast ja Recht, Rainer«, sagte er stockend. »Die Ähnlichkeit ist wirklich dermaßen frappierend – das gibt’s einfach nicht.«
Während der lang gedehnte Leichenzug den Vorplatz der Friedhofskapelle verließ und sich über einen breiten asphaltierten Weg in Richtung des Waldfriedhofs bewegte, standen die beiden Männer noch eine Weile still und andächtig auf ihrem Beobachtungsplatz und folgten der feierlichen Beerdigungsprozession erst, nachdem sich Tannenbergs stark genug fühlte, die optische Wiedergeburt seiner vor sieben Jahren verstorbenen Frau emotional verarbeiten zu können.
Als der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission etwa eine Stunde später wieder in seiner Dienststelle am Pfaffplatz eintraf, saßen Kriminalhauptmeister Geiger, Petra Flockerzie und Sabrina Schauß kaffeetrinkend im Sekretariat am Besuchertisch und unterhielten sich angeregt über modernes Vermögensmanagement – oder trefflicher beschrieben: Geiger dozierte über lukrative Geldanlagen im Healthcare- und Wellnessbereich. Seine beiden Zuhörer waren so begeistert bei der Sache, dass sie das Erscheinen ihres Vorgesetzten zwar registrierten, ihr Verhalten allerdings nicht grundlegend änderten.
»Chef, bitte nur noch fünf Minuten«, empfing ihn seine Sekretärin und ergänzte mit glänzenden Augen, »das ist ja so toll, wie man heute sein Geld anlegen kann. Wollen Sie sich das nicht auch mal anhören?«
Petra Flockerzie erhob sich und wollte gerade einen weiteren Stuhl, der etwas abseits an der Wand stand, zum Besuchertisch herüberschaffen, als Tannenberg ihrem Vorhaben Einhalt gebot.
»Komm, setzt dich wieder hin! Gut, fünf Minuten. Aber dann geht ihr alle zurück an eure Arbeit!«, zeigte er sich unerwartet großzügig.
»Danke, Chef. Toll! Das ist nämlich wirklich total interessant. Der Geiger hat uns gerade erklärt, wenn man Geld in … – Geiger, wie heißt das Zeug?«
»Wellness- und Healthcarefonds.«
»Wenn man da sein Geld anlegt, dann bekommt man neben einer … Komm, Geiger, erklär das noch mal.«
»Ganz einfach: Wenn man in Wellness- und Healthcarefonds investiert, erhält man neben der normalen Gewinnausschüttung zweimal im Jahr Gutscheine für Beautyfarm-Aufenthalte, die man dann …«
»Chef, wissen Sie was das heißt?«, unterbrach Petra Flockerzie aufgeregt. »Da kann ich kostenlos – jawohl: kostenlos! – die modernsten Diätprogramme machen und mich verwöhnen und verschönern lassen.«
Tannenberg hatte zwar eine ketzerische Bemerkung auf der Zunge, die er aber nach seinem Fauxpas vorgestern besser unterließ, war es ihm doch erfolgreich gelungen, seine Sekretärin mit Hilfe der beiden Geschenke wieder etwas versöhnlicher zu stimmen.
Während er sich von seiner inneren Ratgeberinstanz erfolgreich disziplinieren ließ, hörte er, wie Geiger die beiden Frauen zu einem Besuch der Spielbank in Bad Dürkheim einlud, wo an diesem Abend anscheinend ein Informationstreffen der Firma Midas-Power-Investments stattfinden sollte. Da Petra Flockerzie verhindert war, überreichte er ihr ein Prospekt und zeigte sich sehr erfreut über die spontane Zusage von Michael Schauß’ Ehefrau.
»Toll, Sabrina, dann hol ich dich heute Abend ab. Dann machen wir uns einen schönen Abend in der Spielbank. Das wird dir bestimmt gefallen! Du wirst dort sehr interessante Leute treffen.«
»Jetzt reicht’s aber!«, stoppte Tannenberg mit Vehemenz den Freudenausbruch Geigers.
Fast zeitgleich betrat Fouquet mit einem Stapel Fotos das Kommissariat.
»Sag bloß, der alte Leichenknipser hat die Bilder von der Beerdigung schon fertig?«
»Ja, Chef.
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