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Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall

Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall

Titel: Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Frieder, altes Haus. Manchmal treibt es eben den Täter an den Ort seiner Schandtaten zurück!«
    »Na ja, so schlimm waren wir früher ja auch nicht, oder?«, lachte er und strich sich mit beiden Händen über den in einem weiten Holzfällerhemd versteckten, aber trotzdem unübersehbaren Bierbauch. »Komm setzt dich mal dahinten hin. Wenn ich mich nicht irre, war das doch damals euer Tisch, an dem du und dein Bruder und die ganzen anderen Freaks immer gesessen seid. Stimmt’s?«
    »Stimmt, Frieder! Du hast aber ein phänomenales Gedächtnis.«
    »Brauch ich auch in meinem Job! Setzt dich mal hin! Was soll ich dir denn bringen? Wie wär’s mit einem Rouge und einem belegten Baguette?«
    »Genau das brauch ich jetzt!«
    Als Tannenberg in der gut besuchten Kneipe auf einem alten Buchenstuhl Platz genommen und seine Arme auf der bemalten und verkratzten Tischplatte abgelegt hatte, schüttelte er immer noch leicht mit dem Kopf und lächelte ungläubig vor sich hin.
    Als ob die Zeit stehen geblieben wäre!, dachte er. Dieselben Lampen, dieselbe Theke, ja sogar der Billardtisch stand immer noch an derselben Stelle. Wie oft haben wir hier gesessen und bis spät in die Nacht den Marsch durch die Institutionen geplant, mit dem wir die reaktionäre, faschistische Welt unserer Väter aus den Angeln heben und anschließend neu zusammenbauen wollten? Hatten hier an diesem Tisch gesessen, wo damals noch ein großes schwarz-rotes Che-Guevara-Plakat hing, hatten den brutalen Imperialismus der Amerikaner angeklagt und mit offenen Augen davon geträumt, dass Jean-Paul Sartre plötzlich die Tür öffnet, sich zu uns setzt und uns den Existentialismus erläutert.
    Frieder erschien am Tisch seines unerwarteten Gastes und servierte ihm eine Karaffe französischen Landwein und ein mit Schinken und Käse belegtes Baguette.
    »Da hab ich noch was dich, Tanne«, sagte er und zauberte ein kleines rotes Büchlein aus der Brusttasche seines blauweißkarierten Flanellhemdes. »Damit du ganz tief in die Welt unserer gemeinsamen Erinnerungen eintauchen kannst!«
    »Das gibt’s doch nicht!«, rief Tannenberg begeistert aus. »Du hast noch eine. Irre!«
    »Ja, hast du deine etwa nicht mehr?«, fragte der Kneipenwirt mit einem demonstrativen Augenzwinkern und begab sich danach an einen der Nebentische zu einem zahlungswilligen Gast. Auf dem Weg dorthin drehte er sich aber nochmals kurz um. »Selbstverständlich bist du heute Gast des Hauses!«
    »Danke, Frieder!«, war alles, was Tannenberg erwidern konnte, zu sehr war er gefangen von diesem unscheinbaren, kleinformatigen Bändchen.
    Wie eine kostbare Reliquie zog er es vorsichtig von der Tischmitte direkt vor sich, blickte kurz auf den roten fünfzackigen Stern und las sich selbst die in den billigen Plastikeinband gestanzten, kaum erkennbaren Großbuchstaben murmelnd vor: WORTE DES VORSITZENDEN MAO TSE-TUNG. Dann klappte er den dünnen Buchdeckel auf – ›Proletarier aller Länder vereinigt euch!‹, leuchtete ihm auf der ersten Seite in kräftigem Rot entgegen; versteckt am unteren Teil des Blattes war im zartem Grün vermerkt: Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1967.
    Gespannt wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal die Schulbücher der ersten Klasse aufschlägt, blätterte er im Vorwort. Seine Augen bohrten sich in einen Satz, der kaum zutreffender das aufdringliche Verhalten der KBWler, wie sie damals die marxistisch-leninistischen Kader des Kommunistischen Bundes Westdeutschland nur nannten, bezeichnete: ›Am besten ist es, einige der Sentenzen des großen Vorsitzenden auswendig zu lernen, sie wiederholt zu studieren und wiederholt anzuwenden.‹ Und das hatten diese Jungs damals ja auch tatsächlich gemacht, stellte Tannenberg mit der zeitlichen Distanz von fast drei Dekaden fest.
    Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie seinem einige Jahre älteren Bruder, der ja selbst politisch im SDS und im ASTA aktiv war, diese maoistischen Jünger auf den Wecker gegangen waren, wenn sie jeden Abend mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein ausgestattet durch die Kaiserslauterer Kneipen zogen, Mao-Bibeln verteilten und ohne Unterlass deren Inhalt rezitierend ihre Botschaft unter die Leute brachten.
    Meistens hatte er nur still dabei gesessen und interessiert zugehört, wenn sich die Studenten ihre komplizierten Theoriekonstrukte um die Ohren warfen und hatte nur ab und an mal einen kleinen eigenen Diskussionsbeitrag geleistet, der aber eigentlich nur unreflektiertes Nachgeplappere

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