Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
er reaktionsschnell und riss sich mit einer enormen Energieleistung von diesem lebhaften Augenpaar los, das ihn die ganze Zeit über interessiert betrachtet hatte und dessen magischer Anziehungskraft er sich kaum zu widersetzen vermochte.
Das, was dieser – von Tannenbergs innerer Stimme als ›alberner Gockeltanz‹ diffamierten Episode – nun folgte, hatte durchaus den Charakter einer dramatischen Theaterinszenierung: Elanvoll marschierte der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission, seine zu unbedeutenden Komparsen degradierten Mitarbeiter im Schlepptau, zu dem von Ellen Herdecke beschriebenen Konferenzzimmer und platzte mitten in einen Vortrag des Firmenchefs hinein.
»Herr Professor von Wandlitz, aufgrund dringenden Tatverdachts in zwei Mordfällen und der daraus resultierenden Verdunklungs- und Fluchtgefahr nehme ich Sie hiermit vorläufig fest. Abführen!«
Gemeinsam mit Kriminalhauptmeister Geiger begab sich Michael Schauß zu dem Beschuldigten und legte dem völlig fassungslosen Mann silberne Handschellen an. Dann bauten sich die beiden wie Bodyguards links und rechts neben ihm auf.
Der erste, der seinen Schockzustand überwinden konnte, war der ebenfalls anwesende Firmenjustiziar. »Tannenberg, sind Sie denn nun völlig wahnsinnig geworden? Was soll denn dieser Auftritt? Worauf stützen Sie denn um Himmels willen Ihren geradezu irrsinnigen Aktionismus?«
»Neue Indizien, lieber Herr Anwalt! Neue Indizien!«
»Welche neue Indizien?«, fragte Dr. Croissant in das auflodernde Stimmengewirr der etwa zehn Konferenzteilnehmer hinein.
»Dazu werde ich Ihnen hier und jetzt nichts sagen. Wir werden ins Kommissariat fahren und dort zuerst eine ordentliche Vernehmung Ihres Herrn Mandanten, so muss man ihn ja jetzt wohl bezeichnen, durchführen. Sie können sich ja schon mal zu Hause an den Kamin setzen und den Text für eine Haftbeschwerde formulieren. Allerdings wird Ihnen wahrscheinlich der werte Herr Professor für geraume Zeit nicht mehr zu einem GO-Spiel zur Verfügung stehen. Aber Sie können ihn ja ab und zu mal in der JVA besuchen. Einen wunderschönen Tag noch!«
Gefolgt von seinen Kollegen, die von Wandlitz auf beiden Seiten eskortierten, und einem überaus erbosten, wüst schimpfenden Rechtsanwalt, gestaltete sich der Marsch durch das Firmengebäude angesichts der vor den weit geöffneten Bürotüren spalierstehenden, ungläubig gaffenden Menschen zu einem wahren Triumphzug für Tannenberg. In seinem Freudentaumel konnte er es sich nicht verkneifen, Ellen Herdecke ein Petzauge zuzuwerfen, das diese aber nicht erwiderte.
Während der Professor und sein ihn begleitender Anwalt in die Diensträume der Mordkommission im ersten Obergeschoss geleitet wurden, begab sich der Leiter des K1 höchstpersönlich mit seinem wichtigsten Beweisstück in den Händen zu der im Keller des Polizeigebäudes untergebrachten Kriminaltechnik.
»Hallo, Karl. Wirf sofort alles, an dem du gerade arbeitest, in die Ecke! Das hier ist viel wichtiger! Du musst mir so schnell wie möglich einen Fingerabdruckvergleich durchführen«, sagte Tannenberg und stellte die Plastiktüte samt ihres bedeutungsvollen Inhalts mitten auf Mertels Schreibtisch. »Sei bloß vorsichtig damit!«, ergänzte er mahnend, während er behutsam seine Hände unter die schwere Skulptur zwängte und den schwarzen Bären anschließend aus seinem Gefängnis befreite. »Sag mal, hast du jemals in deinem Leben einen derart schönen Fingerabdruck gesehen?«
»Nein, Wolf, noch nie!«, spottete der Spurenexperte.
»Wie lange brauchst du denn für einen Abgleich?«
»Ich weiß ja, dass du dich nicht die Bohne für unsere Arbeit interessierst – nur für die Ergebnisse …«
»Jammer nicht! Sag schon!«
»Also, wenn ich mich extrem beeilen würde: eine halbe Stunde.«
»Los, dann beeil dich mal extrem!«, wiederholte Tannenberg die Worte des Kriminaltechnikers. »Es ist wirklich unglaublich wichtig!«
»Na, gut. Dann verschwinde jetzt aber sofort, sonst kann ich nicht richtig arbeiten!«, entgegnete Mertel und schob seinen unangekündigten, aufdringlichen Besucher mit der rechten Hand ziemlich energisch von seinem mit allen möglichen Papieren überlagerten Schreibtisch weg.
Als Tannenberg wenig später im Vernehmungsraum des K1 erschien, wurde er umgehend von Dr. Croissant verbal angegangen »Befreien Sie meinen Mandanten von diesen albernen Handschellen! Sonst …«
»Sonst was, Herr Anwalt?«, unterbrach Tannenberg mit sich erhebender Stimme.
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