Goldstein
musste an seine gemeinsamen Einsätze mit Charly denken, das war etwas ganz anderes gewesen. Charlotte Ritter war mehr als eine Stenotypistin, die dachte wie eine Kriminalbeamtin. Die Temme dagegen dachte überhaupt nicht, die schrieb einfach nur mit. Dafür saß sie jetzt auch pünktlich zum Mittagstisch in der Kantine, während Kriminalsekretär Gräf hungrig auf das Essen eines anderen starrte.
»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich weiteresse«, sagte Sieger. Eine Frau saß nicht mit am Tisch. Ob der Scharführer auch schwul war? Oder nur ein eingefleischter Junggeselle. Keine voreiligen Schlussfolgerungen, dachte Gräf, du isst auch allein. Wenn du denn überhaupt mal etwas isst.
Er nickte und setzte sich an den Tisch. »Das sieht lecker aus«, sagte er, doch Sieger kam nicht auf den Gedanken, ihm etwas anzubieten.
»Frau Ruland aus der zwoten kocht für mich«, sagte er, während er ein großes Stück von seinem Kasseler absäbelte, »dafür kümmer ich mich darum, wenn bei ihr mal was zu reparieren ist.«
Gräf nickte noch einmal und wartete mit knurrendem Magen, bis Sieger seine Mahlzeit beendet hatte.
»So, was kann ich denn für Sie tun, Herr Kommissar?«, fragte der Scharführerhausmeister schließlich und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. Blütenweiß. Wahrscheinlich von Frau Ruland gewaschen.
»Kriminalsekretär«, verbesserte Gräf und räusperte sich. »Wie ich schon sagte, geht es um Gerhard Kubicki.«
»Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Der arme Gerd.«
»Sie sind sein direkter Vorgesetzter bei der SA?«
Sieger nickte.
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Was soll das heißen? Verdächtigen Sie mich?«
»Man hat Sie am Abend des dreißigsten Juni zusammen mit Kubicki gesehen. Sie sollen Uniform getragen haben.«
»Wer sagt das?«
»Die Leiche von Kubicki hat man sogar in seiner Uniform gefunden.«
»Ein Mensch ist ermordet worden, und die preußische Polizei hat nichts Besseres zu tun, als dem Opfer das Tragen einer verbotenen Uniform vorzuwerfen?«
»Ich werfe niemandem etwas vor, ich versuche nur herauszufinden, was geschehen ist. Ist das Uniformverbot der Grund, dass Sie sich bislang noch nicht als Zeuge gemeldet haben?«
»Man weiß ja nie, wie die Polizei einen behandelt! Wenn Isidor Weiß seine Bluthunde losschickt, dann ist ein völkisch denkender Mann doch schnell der Bösewicht.«
»Sie sollten Ihre Wortwahl bedenken. Bevor so etwas zur Beamtenbeleidigung wird.«
Sieger schwieg.
»Das Uniformverbot interessiert mich nicht«, sagte Gräf. »Ich möchte von Ihnen hören, was am späten Dienstagabend passiert ist. Ich weiß ohnehin schon, dass Sie und Ihre ... Kameraden einen alten Mann aus dem U-Bahnhof verfolgt haben. Nachdem Sie ihn zuvor auf dem Bahnsteig belästigt haben.«
»Aber, Herr Kommissar!«
»Kriminalsekretär.«
»Herr Kriminalsekretär, das war doch nichts Ernstes! Ein alter Itzig. Wir haben uns ein bisschen lustig über ihn gemacht!« Scharführer Sieger schaute so unschuldig wie ein Junge, der sich dafür rechtfertigen muss, die Puppe seiner kleinen Schwester versteckt zu haben. »Mal ehrlich: Muss sich einer doch auch nicht wundern, wenn er so rumläuft, sieht doch zu albern aus!«
»Warum haben Sie den Mann verfolgt? Sie hätten ihn einfach gehen lassen können. Hat es Ihnen nicht gereicht, ihn vom Bahnsteig vertrieben zu haben?«
»Was heißt vertrieben? Die Jungs sind hoch, da bin ich hinterher. Sind eben manchmal etwas übermütig.«
»Wie übermütig waren sie denn am Dienstagabend?«
»Es wär doch gar nichts passiert, wenn der nicht da gestanden hätte.«
»Wer?«
»Na, Gerds Mörder. Eine Schande, dass Sie den immer noch nicht gefasst haben! Der hat uns vielleicht angepöbelt, oben im Bahnhof! Wir sind dann weiter, wollten keinen Streit, doch der hat nicht lockergelassen.«
»Sie wollten keinen Streit? Sind Sie deshalb in Ihren verbotenen Uniformen durch eine Arbeitergegend gelaufen?«
»Ich dachte, es geht nicht um das Uniformverbot.«
Gräf seufzte. »Erzählen Sie bitte, was dann passiert ist.«
»Na, der hat uns beschimpft. Als ... braune Scheiße. Und noch schlimmer. Ich will das hier nicht alles wiederholen. Wir sind in den Park, weil wir dachten, wir sind ihn dann los.«
»Aber er ist hinterher.«
»Konnten ja nicht ahnen, dass der ’ne Pistole hat.«
»Sonst hätten Sie ihn im Park empfangen und einfach zusammengeschlagen, vier gegen einen, war das Ihr Plan?«
Sieger guckte so empört, wie ein SA-Mann
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