Goldstein
Wachspapier ein und reichte das Paket über die Glastheke.
»Solln obdachlos geworden sein, die Reinholds«, sagte sie,so leise, als sei es eine Schande, darüber zu sprechen. »Ick hatte jedacht, die wären zu Ihnen nach Jerichow jejangen. Aber dann müssense wohl woanders unterjekommen sein.«
»Obdachlos? Ich fass’ es nicht!« Charly tat entsetzt. »Gibt’s denn keinen Kollegen, der noch Kontakt zu Alex haben könnte? Der wissen könnte, wo sie jetzt wohnt?«
»Vielleicht weeß der Erich mehr als ich. Fleischerjeselle. Hier ausem Haus. Also, der hatte damals een Oore jeworfen uff unsere Alex, wenn Se mich fraaren. Wie der immer jekiekt hat, wenner neue Ware brachte!«
»Waren die beiden denn befreundet? Also: ein Paar?«
»Also, offiziell jedenfalls nich.« Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. »Is ja ooch streng verboten hier. Wenn hier einer’n Techtel anfängt mit eene Minderjährije, der fliecht doch sofort. Aber anjeschwärmt hat er se heftich. Un wenn Se mich fraaren, war Ihre Cousine auch nich so janz abjeneicht ...« Sie zwinkerte Charly zu.
»Und Sie meinen, der könnte mir eventuell weiterhelfen.«
Die Frau zuckte mit den Achseln. »Wenn Se Pech haben, hatse dem jenauso wenich erzählt wie allen anderen. Hat sich hier nich mehr blicken lassen, seit se jeflochen is. Ick jloob, die hat sich einfach jeschämt.«
»Erich, sagen Sie?«
»Erich Rambow, unten in der Fleischerei.«
Charly ging zur Kasse und bezahlte. Auch die Flasche Sekt besorgte sie noch, schließlich hatte sie etwas zu feiern, ihre gesicherte Zukunft bei der Berliner Kriminalpolizei zum Beispiel. Außerdem hatte sie heute das Mittagessen gespart, da konnte man sich diesen kleinen Luxus leisten. Mit der Einkaufstüte in der Hand fragte sie sich durch bis zur Fleischerei, aber diesmal hatte sie Pech. Fleischergeselle Erich Rambow hatte sich schon in den Feierabend verabschiedet.
66
R ath erschien zehn Minuten zu früh im Kempinski . Bloß nicht zu spät kommen, nicht heute Abend. Er hatte überlegt, Kirie mitzunehmen, der Hund war immer gut, wenn es darum ging, Charly milde zu stimmen, aber das arme Tier hätte ohnehin nicht mit ins Restaurant gedurft. Also hatte Rath noch einmal auf die Dienste der Lennartz’ zurückgegriffen, die den Hund auch gerne mal über Nacht nahmen, zumal es dafür mehr Geld gab. Wenn das so weiterging, würde die Hauswartsfamilie eines Tages mehr mit Hundebetreuen verdienen als mit ihrer eigentlichen Arbeit.
Er gab den Blumenstrauß beim Oberkellner ab und steckte dem Mann einen kleinen Schein zu, Investition für einen Tisch auf der Terrasse, mit bester Sicht auf den Ku’damm und dennoch nicht mitten im Trubel, sondern ein wenig abseits, ungestört. Es sollte alles richtig sein. Er wollte sie zurück, er wollte diese seltsame Stimmung zwischen ihnen endlich beseitigen, wollte ihr zeigen, woran sie mit ihm war. Er war bereit, aufs Ganze zu gehen, wie schon einmal vor ein paar Tagen, und er hoffte, diesmal mehr Glück zu haben. Rath hatte sich zuhause nicht nur geduscht und in einen frischen Anzug geworfen, er hatte auch die Ringe wieder eingesteckt. Die Ringe, die schon einmal in Kölner Sektgläsern gelegen hatten und dann doch nicht zum Einsatz gekommen waren.
Er überbrückte die Wartezeit mit einer Zigarette. Der Kellner hatte die Blumen gerade auf den Tisch gestellt, in einer hübschen modernen Vase mit dem Kempinski-K, und den Aschenbecher ausgetauscht, genauso übertrieben aufmerksam wie die Pagen im Excelsior , da erschien sie, pünktlich auf die Minute. Rath hielt den Atem an. Charly sah umwerfend aus in ihrem roten Kleid. Er genoss jede Sekunde, die er sie beobachten konnte, wie sie sich suchend umschaute, ihn nirgends entdeckte und dann vom Ober angesprochen wurde. Für diese Frau würde er alles tun, das spürte er in diesem Moment. Im Augenblick aber musste er nur eines tun: sie davon überzeugen, dass Gereon Rath gar kein so schlechter Kerl war, dass er der Richtige für sie war, der Einzige. Trotz allem.
Sein Herz schlug schneller, als der Ober sie zum Tisch führte. Rath glaubte, wenigstens ein kleines Lächeln über ihr Gesichthuschen zu sehen, als sie ihn entdeckte. Na bitte! Er stand auf und schob ihr den Stuhl zurecht. Charly blieb unnahbar, als sie ihn begrüßte und sich hinsetzte. Keine Umarmung, kein angedeuteter Kuss. Rath blieb genauso kühl, wie sie es war, auch wenn es ihm schwerfiel.
Ihr Blick fiel auf die Blumen. Sie merkte sofort, dass die nicht aus der
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