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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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klar, dass sie nichts Erfreuliches mit ihm zu bereden hatte. Er erwartete das Schlimmste, aber er würde so schnell nicht aufgeben, das konnte er ihr jetzt schon versprechen.
    Erst einmal aber gab er ihr Feuer, und sie bedachte ihn mit einem Blick, der ihm das Herz zerriss, ein tastender, fragender, unsicherer Blick. Was war los mit ihr? Was lag ihr auf der Seele? Wollte sie wirklich ...?
    Mitten in ihr Schweigen platzte der Ober mit den Getränken. Selbst der schien zu merken, dass zwischen den beiden Gästen hier etwas nicht stimmte. Als der Mann wieder verschwunden war, hob Rath sein Glas, unbestimmt genug, dass es wie ein Zuprosten aussehen konnte, aber nicht musste. Der Wein war ganz passabel. Und richtig temperiert, er trank gleich noch einen Schluck. Charly rührte ihr Selterswasser nicht an; sie rauchte, als werde sie dafür bezahlt.
    »Du hast recht, reiten wir nicht auf der Geschichte mit Guido herum«, sagte sie. »Es gibt etwas Wichtigeres, über das ich mit dir reden muss.«
    Rath sah seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden. So ähnlich hätte er wohl auch angefangen, wenn er einen Schlussstrich hätte ziehen wollen. Aber das wollte er nicht, das wollte er verdammt noch mal nicht!
    Er war ganz starr geworden bei ihren Worten, er schaute nur auf ihren Mund und wartete auf die Worte, die dort herauskommen würden, wagte nicht einmal zu atmen. Doch schien es Charly schwerzufallen, das zu sagen, was sie sagen wollte. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe sie weitersprach, und er fürchtete schon zu ersticken.
    »Du kennst doch noch Professor Heymann«, sagte sie schließlich. »Strafrecht. Der Mann, der mein Doktorvater wird, sollte ich jemals promovieren.«
    Rath nickte, auch wenn er sich nur dunkel erinnerte. Diese ganze Juristenwelt, diese Akademikerzirkel an der Universität waren ihm immer fremd geblieben. Ein paarmal hatte er Charly von irgendwelchen Treffen und sonstigen Terminen abgeholt und bei diesen Gelegenheiten ein paar Professoren und Kommilitonen kennengelernt. Aber außer dem des Grinsemanns hatte er sich kein Gesicht wirklich einprägen können. Wenn Heymann wirklich der war, an den er dachte, als er den Namen hörte, dann musste der Mann stramm auf die sechzig zugehen, vielleicht sogar schon auf die siebzig. Rath spürte, wie sein Mund trocken wurde, und trank schnell einen Schluck Wein. Was sollte das jetzt werden? Wollte sie ihm ein Verhältnis mit ihrem ehemaligen Professor beichten?
    »Heymann hat mir ein Angebot gemacht«, fuhr sie fort. »Ich wollte es eigentlich mit dir besprechen, bevor ich mich entscheide, aber nach dem ganzen Mist letzte Woche ...« Sie zündete sich eine frische Juno an der alten an. »Ich habe heute zugesagt«, sagte sie schließlich und drückte die gerauchte Zigarette aus. »Ich begleite Professor Heymann für ein halbes Jahr nach Paris. Ein internationales Forschungsprojekt. Territoriale Grenzen des Strafrechts.«
    Jetzt erst trank sie ihren ersten Schluck Wasser. Rath glaubte, da käme noch etwas, aber da kam nichts mehr. Das war alles, das war die ganze Nachricht. Charly wollte mit ihrem Professor für ein halbes Jahr ins Ausland. Nicht mehr und nicht weniger. Wie harmlos im Vergleich zu dem, was er erwartet hatte.
    »Paris ist schön«, sagte er nur. Was für eine dämliche Bemerkung! Aber das war jetzt beinahe egal; er merkte, wie ihm eine Zentnerlast von der Seele fiel, wie sie langsam abbröckelte und er sich immer leichter und leichter fühlte.
    Sie schaute ihn erstaunt an. »Mehr hast du nicht dazu zu sagen?«
    Er drückte seine Zigarette aus. »Wann?«, fragte er. Er hätte auch »Wie?« oder »Warum?« fragen können oder »Wie viele?« Es warZufall, dass seine Frage einen Sinn ergab, er konnte kaum nachdenken, erst als Charly antwortete, sortierten sich seine Gedanken langsam wieder.
    »Im nächsten Wintersemester schon«, sagte sie. »Im September müsste ich abreisen.«
    Rath trank noch einen Schluck. Selbst der Wein schmeckte jetzt besser. Er hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, aber gemessen daran war ein halbes Jahr ohne Charly gar nichts, überhaupt kein Problem. Das würde er schon überstehen.
    Unwillkürlich befühlte er das kleine Päckchen in seiner Innentasche. So gut ihre Nachricht war, der richtige Augenblick für die Ringe war das jetzt schon wieder nicht. Sollte er sich ausgerechnet jetzt mit ihr verloben, wo sie für ein halbes Jahr verreiste? Wie sähe das aus? Verlobung feiern, und dann die Verlobte allein auf Reisen schicken? Was

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