Goldstein
der Tür, da hörte sie, wie jemand an Kralle vorbei in den Raum trat. Sie konnte nur seinen Rücken sehen, nicht das picklige Gesicht. Felix Pirsig drehte sich langsam um, und bevor er sie entdecken konnte, hatte sie ausgeholt und ließ das Schabeisen mit vollem Schwung gegen seinen Kopf krachen. Sie traf ihn nicht mit der Klinge, nur mit dem Holzgriff, doch es hörte sich an, als habe er ein paar Zähne verloren, als er zu Boden ging. Der Schwung des Schlages hatte sie mitgerissen, sie stand über dem blutenden Jungen und schaute in die blöde glotzenden Gesichter der übrigen.
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E rika Voss sprühte die Neugierde förmlich aus den Augen, doch Rath gab sich weiterhin wortkarg, als er wieder ins Büro zurückkehrte. Die Kollegen waren von ihrem Ausflug nach Moabit noch nicht wieder zurück. Er zog sich an seinen Schreibtisch zurück und schloss die Tür, unmissverständliches Zeichen für die Voss, dass er nicht gestört werden wollte. Kirie legte sich unter den Tisch, der Hund war nach den zurückgelegten Kilometern und einer letzten Belohnungsboulette rechtschaffen müde. Rath holte ein großes Kuvert hervor, das er zwischen den Zeitungen versteckt hatte, die er unter dem Arm trug. Er hatte gute Gründe, den braunen Umschlag vor den neugierigen Blicken der Voss zu verbergen, er hätte niemandem in der Burg erklären können, wie er daran gekommen war. Böhm hätte wahrscheinlich sonst was für den Briefumschlag und dessen Inhalt gegeben, aber das machte es nur noch reizvoller,ihn vor dem Oberkommissar geheim zu halten. Wissen ist Macht. Der alte Wahlspruch seines Vaters. Engelbert Rath hatte es damit immerhin bis zum Kriminaldirektor gebracht.
Rath öffnete den Umschlag. Die Polizeizeichnung von Abraham Goldstein purzelte heraus, versehen mit ein paar Fettstiftmarkierungen für den Fotosatz, dazu sechs mit Schreibmaschine beschriebene Seiten, und die hatten es in sich: ein Steckbrief von Abraham Goldstein, mindestens so informativ wie der, den das Bureau of Investigation vor zwei Wochen über den Fernschreiber geschickt hatte, allerdings auf Deutsch, ergänzt um die Information, dass eben dieser Abraham Goldstein, dessen Lieblingswaffe bekanntermaßen eine Remington 51 sei, am Dienstaggabend im Humboldthain mit einem Trupp SA-Männer in Streit geraten sei. Dann Zusammenfassungen zweier ballistischer Befunde, einer vom Freitag datiert über das Projektil, das man am Humboldthain gefunden hatte. Der andere mit dem Datum von gestern betraf zwei Projektile desselben Kalibers, die in einer unbekannten Leiche gesteckt hatten, die vor wenigen Tagen auf der Mülldeponie Schöneiche gefunden worden war. Kein Zweifel, das waren interne polizeiliche Informationen, tischfertig für die Presse zubereitet und ergänzt durch gewisse Theorien, etwa, dass es sich bei der noch nicht identifizierten Leiche womöglich um das Opfer einer Unterweltschießerei handeln könnte, und dass die Projektile wahrscheinlich aus einer einzigen Waffe stammten, einer amerikanischen Remington 51.
Rath überflog den gestrigen Artikel. Von einer Remington war da noch nicht die Rede, Goldsteins Lieblingswaffe wurde erst in der aktuellen Ausgabe erwähnt. Jüdischer Gangster terrorisiert Berlin. Was tut die Polizei? Fink hatte die Anregungen seines Informanten aufgegriffen und stellte die Theorie auf, dass Abraham Goldstein im Auftrag eines von Kommunisten durchsetzten Ringvereins in Berlin unterwegs sei, und dass der tote SA-Mann und der Tote von der Müllkippe nur die ersten von vielen noch zu erwartenden Opfern eines von langer Hand geplanten Rachefeldzuges seien.
Rath musste an Hugo Lenz und Rudi Höller denken. Ging es womöglich gar nicht um den Kampf der Berolina gegen die Nordpiraten? War ein dritter Unterweltverein im Spiel? Oder saß er nur der blühenden Fantasie eines Stefan Fink auf, dem die Polizeiinterna in seinem Postfach zu Kopf gestiegen waren?
Er legte die Zeitung beiseite.
Der Journalist hatte bereitwillig kooperiert, nachdem ihm klar geworden war, dass Rath ihn in der Hand hatte, und alles erzählt, was er wusste. Was leider nicht so viel war, wie Rath gehofft hatte. Wo genau das Leck im Polizeipräsidium war, das wusste er immer noch nicht: Fink hatte den ersten Umschlag mit der Polizeizeichnung, Goldsteins Steckbrief und dem ersten Ballistik-Gutachten am Sonntag in seinem Postfach im Verlagsgebäude gefunden. Den zweiten mit dem anderen Gutachten dann gestern Mittag. Es gab keinen Grund, an dieser Geschichte zu
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