Goldstein
bereits zurückgelegt, da hörte er Finks Stimme hinter sich. »Halt, warten Sie!«
Rath blieb stehen. Solange er Fink den Rücken zuwandte, tat er nichts gegen das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht breitgemacht hatte.
72
N ein, das Adlon war das hier nicht gerade, wirklich nicht. Die Backsteinmauern waren feucht, der Boden hart. Und es roch penetrant nach Gülle und Mist und Salz und Blut. Und nach irgendwelchen Chemikalien, von denen sie gar nicht wissen wollte, wie giftig sie waren. Und nachts immer wieder die Schreie, die man schon in der Achsenfabrik hatte hören können, nur waren die hier so laut, dass Alex in der ersten Nacht aus dem Schlaf hochgeschreckt war und für einen Moment geglaubt hatte, die todgeweihten Tiere schrien direkt neben ihr.
Was für ein Versteck! Die alte Häutesalzerei, oder wie hatte Erich dieses Drecksloch genannt? Und dafür sollte sie ihm dankbar sein?
In gewisser Weise war sie das natürlich. Dumm nur, dass er sich jetzt wieder falsche Hoffnungen machte. Seit ihrer Kündigung damals hatte sie ihn nicht mehr gesehen und war froh gewesen, dass das Kapitel Erich so seinen Abschluss gefunden hatte. Aber als sie ihn vorgestern abgepasst hatte, bereit, jeden Moment das Weite zu suchen, sollte er komisch reagieren, hatte sie gemerkt, dass sich nichts geändert hatte, dass er sie noch genauso anhimmelte wie damals. Es stimmte schon, sie nutzte ihn aus. Andererseits hatte er ja auch seinen Spaß, also glich sich das irgendwie wieder aus. Sobald sie die Sache mit diesem Mörderbullen erledigt hätte, würde sie mit Vicky in eine andere Stadt gehen, vielleicht nach Breslau, vondort stammte Vickys Familie, jedenfalls weit genug weg, dass die Berliner Polizei sie nicht mehr in die Finger kriegen konnte.
Aber erst mal mussten sie das mit dem Bullen zu Ende bringen. Kuschke hieß das Schwein, das hatte Vicky herausbekommen. Bis zu seiner Wohnung war sie ihm gefolgt, ohne dass der etwas gemerkt hatte.
Die Aktion gestern Nacht war prima gelaufen. Einen Eimer Schweineblut und einen Pinsel, mehr hatten sie nicht gebraucht. Vicky hatte Schmiere gestanden, und Alex gemalt. Beziehungsweise geschrieben. Keine fünf Minuten hatte das gedauert. In der Winterfeldtstraße noch weniger. Dort hatten sie laut gebrüllt: »Kuschke, wir kriegen dich!«, bevor sie abgehauen waren, lachend, wie früher beim Klingelmäuschenspielen.
Dabei war die Sache ernst.
Sie wollten dem Drecksack erst einmal richtig Angst einjagen, er sollte richtige Probleme bekommen, bevor Alex zum letzten und entscheidenden Schlag ausholen würde, um dieses Arschloch endlich büßen zu lassen für das, was er Benny angetan hatte.
Und dafür nahm sie auch liebend gerne ein paar Tage in diesem Loch in Kauf. Sie schaute auf ihre Taschenuhr, Vicky verspätete sich mal wieder. Nicht dass sie am Ende genau in dem Moment hier reinplatzte, wenn sie mit Erich zugange wäre. Na, vielleicht auch gut. Alex konnte sich Schöneres vorstellen, als in dieser stinkenden Bruchbude »Liebe zu machen«, wie Erich das nannte. Wenigstens redete er nicht allzu viel, das schätzte sie an ihm.
Sie hörte Schritte und spitzte die Ohren. Vicky konnte es nicht sein, auch nicht Erich, das waren mehrere Personen. Hier kamen häufiger Arbeiter vorbei, unterwegs von einer Halle zur anderen. In ihren heruntergekommenen Bau verirrte sich glücklicherweise niemand, der war schon lange außer Betrieb und gammelte seitdem vor sich hin. Den Schlachtereigeruch war er trotzdem nicht losgeworden, der lag über dem ganzen Gelände, eine ekelerregende Mischung. Die hatte sie auch an Erich immer gehasst, dieser Geruch hatte nach jedem Arbeitstag in seinen Klamotten gesteckt. Hier in diesem Raum war das egal, hier roch alles so, da fiel das gar nicht weiter auf.
Die Schritte kamen näher, aber irgendetwas war diesmal anders, irgendetwas irritierte sie, und sie brauchte einige Zeit, bis sie daraufkam: Da waren nur Schritte und keine Stimmen. Die da draußen unterhielten sich nicht, keiner sprach auch nur ein einziges Wort.
Und während sie noch darüber nachdachte, hörte sie auch schon die große Metalltür vorne aufschwingen. Während alle möglichen Gedanken durch ihren Kopf jagten, war Alex schon dabei, den Rückzug anzutreten. Sie konnte nur nach hinten ausweichen, in die hinteren Räume, da wo es am penetrantesten stank. Verdammt, was für ein blödes Versteck! Aber was sonst hätte Erich auf die Schnelle auftreiben sollen, er konnte sie ja schlecht bei seinen
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