Goldstein
zweifeln. Nach ihrem Treffen bei Aschinger hatte Rath den Journalisten in die nahe Redaktion begleitet und den Umschlag mitgenommen.
Rath steckte die Blätter mitsamt der Zeichnung zurück in das Kuvert und legte es in die unterste Schublade seines Schreibtischs, packte ein paar längst vergessene Akten darauf und beschwerte das Ganze mit der Miniaturausgabe des Funkturms, die er auf seinem Schreibtisch stehen hatte, ein Andenken, das er seinerzeit als millionster Besucher erhalten hatte, ein Paradebeispiel der Rubrik Geschenke, die niemand braucht .
Als er alles erledigt hatte, stand er auf und öffnete die Zwischentür wieder, bat Erika Voss, ein Auge auf Kirie zu haben, die immer noch unter dem Schreibtisch lag, und ging hinaus auf den Gang.
Rath dankte Gott, dass er mit Gregor Lanke nie hatte zusammenarbeiten müssen. Der Neffe des Inspektionsleiters war seinerzeit als Ersatz für den scheidenden Kommissar Rath zur Inspektion E gekommen, der in die Mordinspektion gewechselt war. Lanke junior schien nach wie vor keinerlei Ehrgeiz entwickelt zu haben; über den Dienstgrad des Kriminalsekretärs war er immer noch nicht hinausgekommen, und das trotz seiner verwandtschaftlichen Beziehungen. Aber immerhin hatte er es nun schon über zwei Jahre auf derselben Stelle ausgehalten, ohne Strafversetzung, ohne Ermahnung, das war für seine Verhältnisse schon enorm.
Rath stand vor der Tür und überlegte kurz. Frontalangriff, das war die hier gebotene Taktik, ansatzlose Überrumpelung.
Er riss die Tür auf und trat ein, ohne anzuklopfen. Rath hatte Glück: Gregor Lanke saß allein im Büro. Sein Nachfolger in der Inspektion E ließ schnell einen Stapel Fotos in der oberen Schublade verschwinden.
»Was wollen Sie?«, fragte er erschrocken, dann erst schien er Rath zu erkennen. »Kollege Rath?«, sagte er. »Das ist ja eine Überraschung! Sehnsucht nach Ihrem alten Arbeitsplatz?«
Rath kam gleich zur Sache.
»Tag, Herr Kollege«, sagte er. »Ich brauche Kontakt zu einer Ihrer Informantinnen. Marion Bosetzky.«
Lanke starrte Rath an. »Wozu das?«, fragte er. »Sie sind ein Mordermittler, oder?«
Die Überrumpelungstaktik hatte funktioniert. Lanke hatte nicht abgestritten, eine Informantin namens Marion Bosetzky zu haben.
»Es geht auch um einen Mordfall«, sagte Rath.
»Da gibt es doch einen vorgeschriebenen Dienstweg, oder?«, fragte Lanke. Er schien schon mit seinem Onkel gesprochen zu haben. »Ein Amtshilfeersuchen zum Beispiel.«
»Na kommen Sie!« Rath machte auf Kumpel. »Unsere Büros liegen auf derselben Etage. Zwei Minuten Fußweg, höchstens.«
»Na, dann wissen Sie ja auch, wie schnell Sie wieder an Ihrem Schreibtisch sitzen und einen offiziellen Antrag über Kriminalrat Gennat stellen können.«
»Wie kommt es, dass Sie mich so schnell loswerden wollen?«, fragte Rath. »Geht es nur darum, dass Sie sich so schnell wie möglich wieder die schmutzigen Bildchen da anschauen wollen?« Rath zeigte auf Lankes Schreibtisch, der für zwei Monate einmal seiner gewesen war.
»Herr Kollege, ich glaube, Sie sollten schleunigst gehen. Sonst sehe ich mich gezwungen, bei Kriminalrat Gennat nachzufragen, ob er seine Leute nicht mit ausreichend Arbeit versorgt.« Lanke griff zum Telefon.
Rath trat den Rückzug an. Er wusste, was er wissen wollte. »Nichts für ungut, Kollege«, sagte er und lächelte. Weil er wusste, dass genau das Lanke am meisten ärgern würde.
74
E
rich Rambow hatte sein Rad an einem Baum auf dem Forckenbeckplatz abgestellt. Charly war rechtzeitig abgestiegen, bevor sie den Platz erreichte, und vor einem Sanitätswarenladen stehen geblieben. In der Schaufensterscheibe beobachtete sie, wie Rambow sein Rad sorgfältig abschloss, seine Ledertasche schulterte und dann entschlossen losmarschierte. Charly ließ Gretas Rad an einem Laternenpfahl stehen, schloss es ebenfalls ab und folgte dem Jungen in sicherem Abstand, die vielen Bäume auf dem Platz als Deckung nutzend.
Eine Viertelstunde etwa hatte sie warten müssen und sich vor diversen Geschäften in der Lippehner Straße herumgedrückt, ehe der Fleischergeselle wieder aus der Hofeinfahrt seines Elternhauses gekommen war, eine Ledertasche auf dem Gepäckträger. Rambow war auf direktem Weg nach Friedrichshain geradelt, und diesmal war es Charly leichter gefallen, an dem rasenden Fleischergesellen dranzubleiben.
Auch als Fußgänger legte er ein ordentliches Tempo vor. Anders als sie vermutet hatte, steuerte Rambow allerdings nicht den
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