Goldstein
alles klar. Ist denn was dabei herumgekommen gestern?«
»Wie man’s nimmt. Viel Arbeit, magere Ergebnisse. Wahrscheinlich hat Goldstein den Wagen da abgestellt und ist mit der S-Bahn weiter oder mit der Elektrischen. Kann also überall in der Stadt untergekrochen sein.«
»Hat denn keiner was gesehen? Von den Nachbarn, den Arbeitern auf dem Güterbahnhof?«
»Ein Einziger. Ein Arbeiter. Meint, er habe sich gewundert, dass der Fahrer keine weiße Kleidung getragen habe. Hat aber keine Ahnung, wohin Goldstein sich davongemacht hat und wie, ob mit der S-Bahn oder der Elektrischen oder zu Fuß.«
»Wie ich ihn einschätze, war er so dreist und hat ein Taxi genommen.«
»Das wollte Kollege Gräf heute überprüfen. Er hat die Droschkenfahrerinnung angespitzt.«
»Ist ja wirklich mager. Selbst wenn er den Taxifahrer finden sollte, der Goldstein gefahren hat – bis vor die Hoteltür wird der ihn kaum gebracht haben.«
»Meinen Sie, er versteckt sich immer noch in einem Hotel?«
»Gibt jedenfalls genügend Absteigen in Berlin für Leute, die untertauchen wollen.«
Tornow zuckte die Achseln. »Eine Sache hat unser Zeuge noch bemerkt«, sagte er. »Goldstein soll einen Riss im Mantel gehabt haben. Eine Ecke rausgerissen.«
Rath nickte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in Pankow angekommen waren. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, doch der Himmel war immer noch grau. Schon ein paar hundert Meter vor dem Haupteingang musste Rath auf die Bremse treten. Vor dem Friedhof herrschte ein mittleres Verkehrschaos. Halb Berlin schien auf den Beinen – und auf den Rädern – zu sein, um Emil Kuhfeld das letzte Geleit zu geben, längst nicht nur Polizisten, sondern auch jede Menge Bürger. Das ließ ja hoffen. Es gab Tage, da glaubte Rath, diese ganze verrückt gewordene Stadt habe sich gegen die Polizei verschworen und jeder gegen seinen Nachbarn, aber heute zeigte sich, dass es auch noch andere Menschen gab.
Er fand einen Parkplatz, und die beiden Männer gingen hinüber zum Friedhofseingang. Schon vor dem Tor verabschiedete sich Tornow. »Danke fürs Mitnehmen«, sagte er, »aber ich muss jetzt zu meinen Leuten. Ein letztes Mal ...«
Rath nickte und schaute ihm nach, wie er sich unter die Schutzpolizisten mischte, gleich einen Kollegen mit Handschlag begrüßte. Ein trauriger Anlass, um ein letztes Mal die Uniform anzuziehen, dachte er, und schaute sich um. Auf dem Friedhof wimmelte es nur so von Uniformierten. Erst als der Leichenwagen mit dem Sarg anrollte, kam Ordnung in das Gewimmel. Die blauen Reihen führten den Trauerzug an, marschierten direkt hinter Vizepolizeipräsident Weiß und Schupo-Kommandeur Heimannsberg, die dem Sarg folgten. Weiß ganz in Schwarz, Heimannsbergwie seine Leute in Uniform. Eine Kapelle der Schutzpolizei spielte Trauermusik.
Rath wartete eine ganze Weile und reihte sich erst ein, als die Zivilbeamten vorüberkamen und er die ersten Kollegen von der Inspektion A erkannte, unter anderem auch Gennat und Böhm. Ein paar Meter vor den Mordermittlern schritt die Abordnung der Sittenpolizei, der Inspektionsleiter höchstselbst und ein paar seiner Kommissare und Oberkommissare. Werner Lanke warf einen bösen Blick über die Schulter; offensichtlich hatte ihm sein Neffe den unangenehmen Besuch des bösen Kommissars Rath gepetzt. Nicht nur Polizisten, eine unabsehbare Menge ganz normaler Berliner Bürger erwies dem toten Schupo das letzte Geleit, Reichsbannerleute hielten die Fahne der Demokratie hoch, und auch die Presse hatte ihre Vertreter geschickt. Emil Kuhfeld war Sozialdemokrat gewesen, und inzwischen deuteten auch immer mehr Indizien darauf hin, dass ein Nazi den tödlichen Schuss abgegeben hatte, und kein Kommunist. Für Schlagzeilen sorgte das allerdings nicht mehr.
Als sich die Menschenmenge am Grab versammelt hatte, ergriff zunächst Magnus Heimannsberg das Wort. Der Schupo-Kommandeur war kein großer Redner. Dann trat Bernhard Weiß neben den Sarg. Er brauchte kein Megaphon, um sich Gehör zu verschaffen, seine leicht berlinernde Stimme war überall zu verstehen. Und Weiß traf den richtigen Ton. Die Stifte der Pressevertreter, die bei Heimannsbergs Rede noch pausiert hatten, begannen nun, über die Notizblöcke zu fliegen.
Weiß ging nur kurz und mit der nötigen Pietät auf die Vorfälle in der Frankfurter Allee ein und fand dann ehrende Worte für den Toten. »Er ist nicht der Einzige, der in opferfreudiger Erfüllung seines Berufes sein Leben lassen musste«, sagte der
Weitere Kostenlose Bücher