Goldstein
ziemlich eindeutig abgewimmelt worden war. Aber ohne dieses Abwimmeln und ohne die halbe Flasche Cognac, die er infolgedessen geleert hatte, wäre er wahrscheinlich nicht auf die Schnapsidee gekommen, in Lankes Büro einzubrechen.
Er zog seinen Scheitel mit einem nassen Kamm nach und prüfte sein Aussehen vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer. Irgendwie gefiel er sich, so ganz in Schwarz und mit dem eleganten Zylinder, den er sich ein wenig schief auf den Kopf setzte, das gab ihm einen seriösen Anstrich, den er sonst nicht hatte. Schade eigentlich, dass er sich nur zu traurigen Anlässen so anziehen konnte; Rath hasste Beerdigungen, vor allem Polizeibeerdigungen. Ganz in Schwarz und mit Zylinder – so hatte er sich zuletzt für die Beerdigung seines Kollegen Stephan Jänicke herausgeputzt. Den Polizisten, der nun zu Grabe getragen wurde, kannte er nicht persönlich, doch Weiß hatte ausdrücklich um rege Teilnahme an der Beisetzung gebeten, vor allem die höheren Dienstränge der Kriminalpolizei sollten zeigen, dass ihnen das Schicksal eines Schutzpolizisten nicht gleichgültig war.
Der Hauswart, der gerade eine verstopfte Regenrinne säuberte,hielt inne, als er den Mieter aus dem Hinterhaus ganz in Schwarz mit schwarzem Hund und schwarzem Schirm über den Hof kommen sah, und legte seine Fingerspitzen zum Gruß an die Kappe. Rath antwortete mit einem kurzen Heben seines Schirms und ging ins Vorderhaus, wo er in der Erdgeschosswohnung klingelte. Annemarie Lennartz schaute überrascht und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Ich wollte den Hund abgeben«, sagte Rath. »Das geht doch in Ordnung heute, oder?«
Die Hauswartsfrau schaute sich Kiries Fell an, aber das war noch halbwegs trocken. »Natürlich«, sagte sie und nahm die Leine entgegen. Kirie verstand und tapste sofort in die Wohnung wie in ein zweites Zuhause.
»Wer ist denn gestorben, wenn man fragen darf?«
»Ein Kollege«, antwortete Rath.
»Mein Beileid.«
»Nicht nötig. Hab den Mann gar nicht gekannt.«
Rath verabschiedete sich von Kirie, die schon keine Notiz mehr von ihm nahm, und machte sich auf den Weg.
Erika Voss nickte anerkennend, als er durch die Tür kam.
»Alle Achtung«, sagte sie. »Wenn’s nicht so ein trauriger Anlass wäre, würde ich sagen, das macht einen ganz anderen Menschen aus Ihnen.«
»Danke.« Aus alter Gewohnheit hätte Rath fast den Zylinder an den Garderobenständer gehängt, dann fiel ihm ein, dass er eigentlich nur hier war, um Tornow mit zur Beerdigung zu nehmen. Der Kommissaranwärter war der Einzige, der mit ihm zum Friedhof Schönholz rausfuhr; Gräf, Henning und Czerwinski schoben Dienst wie üblich.
»Wo bleibt denn unser Lehrling?«, fragte Rath.
Die Voss nickte zur geschlossenen Zwischentür. »Ist schon da«, sagte sie. »Herr Tornow musste noch ein Telefonat erledigen.«
Zu Raths großer Überraschung saß da ein Schutzpolizist – Tornow hatte seine Uniform angelegt. Der Kommissaranwärter wartete an Gräfs Schreibtisch und las Zeitung.
»Was ist das denn«, meinte Rath. »Sie sind doch nicht mehr bei der Schutzpolizei?«
Tornow faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Jede Bügelfalte saß, die Knöpfe blinkten, er machte einen tadellosen Eindruck.
»Als der Kollege, den wir heute zu Grabe tragen, von einem wild gewordenen Kommunisten ermordet wurde, war ich noch Schutzpolizist«, sagte er und wirkte dabei sehr ernst. »Ich halte es in diesem Fall für angemessener, dem Kollegen in meiner Uniform die letzte Ehre zu erweisen.«
Rath nickte. Plötzlich war auch er in Begräbnisstimmung.
»Dann wollen wir mal los«, meinte er, um das peinliche Schweigen zu bekämpfen, das zu entstehen drohte.
Diesmal hatte er den Buick im Lichthof geparkt. Der Regen hämmerte laut auf das riesige Glasdach.
»Hoffentlich hört das bald auf«, sagte Tornow und zeigte nach oben.
Die Männer stiegen ein.
»Schönes Sauwetter«, meinte Rath, als sie auf die Alexanderstraße bogen und er die Scheibenwischer einschalten musste. »Kann ich Sie auch wieder mit zurücknehmen?« Der Friedhof lag ziemlich weit draußen, in Pankow.
»Danke«, sagte Tornow. »Aber das wird nicht nötig sein. Ich denke, ich möchte nachher noch ein wenig mit den früheren Kollegen zusammen sein. Falls Sie erlauben ...«
»Aber natürlich. Wenn Kollege Gräf damit leben kann, dass er den Bericht Ihres gestrigen Einsatzes alleine schreiben darf. Ich brauche Sie heute nicht.«
»Mit Gräf habe ich schon geredet.«
»Na, dann ist ja
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