Goldstein
auch nicht auf; ein älterer Besucher, wie der Hausherr ganz in Schwarz gekleidet, kam auf Rath zu.
»Darf ich fragen, was Sie wünschen?«, flüsterte der Mann und zog Rath hinaus in die Diele. »Das hier ist ein Trauerhaus.«
»Kriminalpolizei«, sagte Rath. »Die Familie Flegenheimer kennt mich. Ich habe noch ein paar Fragen.«
»Wenn jemand Schiwa sitzt«, sagte der Mann, »dann besucht man ihn, um Trost zu spenden, nicht um Fragen zu stellen!«
»Trost zu spenden«, sagte Rath, »gehört nun einmal leider nicht zu den Aufgaben der Polizei.«
»Welche Fragen haben Sie denn? Vielleicht kann ich sie an Ariel übermitteln.«
Rath schüttelte den Kopf. »Ich würde ihn schon gerne selbst fragen, ihn und seine Frau, da muss ich um Verständnis bitten.«
In diesem Moment öffnete sich eine Tür in der großzügigen Diele, Joseph Flegenheimer kam heraus, zuckte zurück, als er Rath erkannte, schloss die Tür hinter sich und ging ohne ein Wort des Grußes an den Männern vorbei ins Wohnzimmer.
»Sie sehen ja, was hier los ist«, meinte der ältere Mann. »Können Sie nicht in ein paar Tagen wiederkommen?«
»Tut mir leid, aber die Sache duldet keinen Aufschub. So ist das leider oft in der Polizeiarbeit.«
Der Mann gab auf. »Also meinetwegen«, seufzte er. »Aber den Hund lassen Sie bitte draußen.«
Rath drückte dem verdutzten Mann die Leine in die Hand. »Gut«, sagte er und ging wieder ins Wohnzimmer.
Die Blicke, die Ariel und Lea Flegenheimer nun auf ihn richteten, waren nicht viel freundlicher als zuvor. Rath wartete, bis ein Besucher sein Gespräch mit Ariel Flegenheimer beendet hatte, ihm die Hand drückte und wieder aufstand, dann hockte er sich zu den beiden Trauernden auf den Boden.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er. »Erlauben Sie, dass ich Ihnen nochmals mein Beileid ausspreche.«
»Aber deswegen sind Sie bestimmt nicht hier«, sagte Ariel Flegenheimer.
»Richtig. Nur eine kurze Frage, dann bin ich wieder weg.«
»Dann stellen Sie Ihre Frage. Unsere Trauer haben Sie ohnehin schon genug gestört.«
»Ich wollte mich nur noch einmal nach Ihrem Neffen erkundigen. Hat sich Abraham Goldstein in den letzten Tagen nicht vielleicht doch noch bei Ihnen gemeldet? Oder irgendwie Kontakt aufgenommen zu Ihnen oder zu Ihrer Familie?«
»Nein. Weder zu mir noch zu meiner Frau. War’s das?«
Rath wandte sich Joseph Flegenheimer zu, der neben seinen Eltern stand und sich flüsternd mit einem Trauergast unterhalten hatte, bis Rath den Raum betreten hatte. »Und Sie?«, fragte er denMann. Nach wie vor konnte er kaum glauben, mit dem Cousin von Abe Goldstein zu sprechen. »Hat Ihr Cousin vielleicht zu Ihnen Kontakt aufgenommen?«
Joseph Flegenheimer schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. Kurz und knapp. Und doch merkte Rath, dass der junge Flegenheimer mehr wusste, als er preiszugeben bereit war.
»Sie haben ihn nicht irgendwo gesehen?«
»Wo sollte ich ihn gesehen haben?«
»Oder haben ihm einen Dienst erwiesen?«
Das Gesicht hinter dem schwarzen Bart blieb unbeweglich. Joseph Flegenheimer hatte sich unter Kontrolle.
»Wie dem auch sei«, sagte Rath. »Ich wollte Sie nur noch einmal daran erinnern. Sollte er sich melden, rufen Sie mich an.« Er reichte Flegenheimer junior seine Karte. »Dann will ich auch nicht länger stören.«
Und damit verließ er die Trauernden, nahm Kirie in der Diele wieder in Empfang und ging die Treppe hinunter auf die Berchtesgadener Straße. Dort setzte er sich in seinen Buick, den er auf der anderen Straßenseite geparkt hatte, zündete sich eine Zigarette an und wartete. Kirie zuliebe machte er das Fenster auf der Beifahrerseite auf.
Seine Geduld machte sich bezahlt. Eine gute Viertelstunde später öffnete sich die Haustür, und Joseph Flegenheimer trat auf die Straße. Rath wartete, bis er die Wartburgstraße erreicht hatte und außer Sicht war, dann startete er den Motor.
Es war nicht schwer, die schwarze Gestalt im Blick zu behalten. Rath blieb an der Einmündung zur Wartburgstraße stehen, bis Flegenheimer an der Martin-Luther-Straße angelangt war, dann folgte er wieder. Dort fuhr die Straßenbahn, doch Goldsteins Cousin ließ die Haltestelle links liegen und ging die Straße hinunter zum Schöneberger Rathaus. Rath folgte ein Stück, parkte dann vor dem Rathaus und beobachtete, wie der Mann in Schwarz den Rudolf-Wilde-Platz überquerte und die Mühlenstraße hinunterging. Er folgte ihm, so langsam es ging, doch vor einer großen Kirche, die nahtlos
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