Goldstein
lassen. Wobei Rath diese Bestätigung nicht mehr brauchte, er war sich seiner Sache auch so sicher.
Allerdings lautete die entscheidende Frage nicht, wo Abraham Goldstein die letzten Tage verbracht hatte, die entscheidende Frage war, wo er sich jetzt in diesem Moment aufhielt, und in dieser Frage hatte sie ihre Entdeckung keinen Schritt weitergebracht.
Gegen vier waren sie wieder in der Burg, alle drei. Rath hatte für Tornow mangels eines weiteren Schreibtischs einen Tisch aus dem Vorzimmer ins Büro geholt und den Besucherstuhl davorgestellt. Einen eigenen Telefonanschluss konnte er dem Kommissaranwärter nicht bieten, aber seine Schreibmaschine hatte Rath bereitwilligst zur Verfügung gestellt. Papierkram hatte er noch nie gemocht, und wozu hatte man einen Kommissaranwärter in der Truppe?
Während Tornow den Bericht ihres heutigen Einsatzes tippte, den Rath noch überprüfen wollte, bevor die Voss ihn ins Reine schrieb, ging er mit Gräf noch einmal dessen Vernehmungsprotokolle durch, in der Hoffnung, unter dem Geschwafel unzähliger Wichtigtuer doch noch ein paar ernst zu nehmende Zeugenaussagen zu finden. Fanden sie natürlich nicht. Sie markierten die ein oder andere Aussage, die auf das Poetenviertel oder die Gegend um den Stettiner Bahnhof hinwies. Diese Zeugen konnte man noch einmal aufsuchen, vielleicht half das weiter. Wahrscheinlich aber war es nur Zufall. So ungefähr in jedem Viertel Groß-Berlins hatte irgendjemand angeblich Abraham Goldstein herumlaufen sehen.
Als Rath später im Vorzimmer saß und dabei war, Tornows Bericht durchzugehen und mit der Voss die nötigen Änderungen zu besprechen, die er an den Rand geschrieben hatte, da klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch. Rath ließ es klingeln, er hatte keine Lust, seine Arbeit zu unterbrechen, nur um sich von Böhm anschnauzen zu lassen. Der Oberkommissar war der Einzige, der immer direkt zu ihm durchwählte. Alle anderen in der Burg suchten den Weg über Erika Voss.
Gräf und Tornow warfen sich einen Blick zu, der Kriminalsekretär machte ebenfalls keine Anstalten, das Gespräch anzunehmen, da stand der Kommissaranwärter dienstbeflissen von seinem Tischchen auf, ging zu Raths Schreibtisch hinüber und hob ab.
»Tornow, Anschluss Kommissar Rath.« Er hörte eine Weile zu, dann streckte er Rath den Hörer entgegen. »Für Sie. Ein Herr Liang.«
Verdammt. Ausgerechnet jetzt, wo sämtliche Kollegen zuhörten! Rath ließ sich nichts anmerken. Er ging hinüber und nahm das Gespräch an.
»Ja?«, fragte er, so unschuldig wie möglich.
»Ich nehme an, es ist jetzt gerade ungünstig, Sie mit meinem Chef zu verbinden«, hörte er die Stimme von Marlows Chinesen im Hörer.
»So ist es«, sagte Rath nur und versuchte, locker zu klingen.
»Dann kommen Sie heute Abend um acht ins Borchardt. Französische Straße. Der Doktor möchte Sie sprechen.«
»Um was geht es?«
»Sie haben es sicherlich schon erfahren und wollten es dem Doktor gleich mitteilen.«
»Wie?«
»Nicht? Ihre Kollegen haben Hugo Lenz gefunden. Tot.«
»Ich verstehe.«
Diesmal war Rath sich nicht sicher, ob es ihm gelungen war,unverbindlich und beiläufig zu klingen. Die Kollegen jedenfalls schienen nichts bemerkt zu haben. Er legte auf.
»Wer war denn das?«, fragte Tornow. »Ein Chinese?«
Rath nickte. »Mein Friseur«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. »Hat einen Termin abgesagt.«
»Dann suchen Sie sich einen deutschen Friseur«, meinte Tornow und grinste. »Einen Haarschnitt könnten Sie jedenfalls gebrauchen.«
92
H ätte Rath gewusst, was ihn im Haus der Familie Flegenheimer erwartete, er hätte mit dem Besuch vielleicht noch ein paar Tage gewartet. Die Wohnungstür stand offen, als er ankam, und er blieb zunächst in dem stuckstrotzenden Treppenhaus stehen, unschlüssig, ob er einfach hineingehen könne, dann auch noch mit Hund. Als er Stimmen hörte und niemand auf sein vorsichtiges »Hallo« reagierte, entschloss er sich, die Wohnung zu betreten.
Er fand Lea Flegenheimer und ihren Mann im Wohnzimmer, wo sie vor ein paar Tagen schon zusammengesessen hatten, diesmal allerdings saßen die Eheleute Flegenheimer nicht in ihren Sesseln, sondern hockten auf dem Boden, auf kleinen, unbequem wirkenden Schemeln. Vier Besucher, Freunde der Familie offenbar, unterhielten sich mit den Flegenheimers, die Stimmen pietätvoll gedämpft. Als Rath den Raum betrat, Kirie an der Leine, trafen ihn sechs entsetzte Blicke.
Ariel Flegenheimer sagte nichts, er stand
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