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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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sogar mehr als wahrscheinlich, aber selbst dann würde eine Krämerseelewie Eberhard Kallweit doch nicht vergessen, das Geld abzuschließen. Oder hatte er es schon herausgenommen und in die Geldkassette geschlossen, in der er seine Einnahmen jeden Morgen zur Bank brachte? Alex wusste, wo Kalli seine Kassette versteckte, das Buchregal im Hinterzimmer. Sie hatte das einmal gesehen, als er nach hinten gegangen war, um Geld zu holen, weil er nicht daran gedacht hatte, dass die Vitrinen in seinem Laden, so schmutzig sie auch waren, perfekte Spiegel abgaben.
    Alex öffnete die Tür. Leise und langsam, angestrengt lauschend. Nichts zu hören, kein Schnarchen, kein Atmen, nur das Ticken der Wanduhr. Sie ging hinein und schloss die Tür gleich wieder. Hier hinten war es noch dunkler als im Laden, wirklich stockfinster, das Hinterzimmer hatte keine Fenster. Alex versuchte, den Lichtschalter zu finden, wusste aber nicht, wo der sich befand. Nach einer Weile gab sie es auf, ging hinunter auf die Knie und tastete sich auf allen vieren voran. Das war schon der Rand des Teppichs, dann musste dort der Tisch und dahinter das Sofa stehen, und über dem Sofa hing das Bücherregal. Alex kroch weiter über den Teppich, der schon lange nicht mehr geklopft worden war, überall Krümel und Dreck. Und dann fasste sie in etwas Klebriges und zog instinktiv die Hand zurück. Was für eine Sauerei! Zuerst dachte sie, Kalli, der alte Schluderkopp, hätte irgendeine Likörflasche umgeworfen und den Dreck nicht weggemacht, aber dann erkannte sie den Geruch, diesen leicht metallischen Geruch.
    Blut!
    Sie hatte in eine Blutlache gefasst.
    Verdammt!
    Licht, sie brauchte unbedingt Licht, sie musste wissen, was hier los war! Sie kroch zurück und öffnete die Tür einen Spalt. Ihre Augen hatten sich inzwischen so an die Finsternis gewöhnt, dass ihr das bisschen Licht, das vom Laden hereinfiel, schon Orientierung bot. Da unter dem Tisch lag etwas Großes auf dem Boden. Ein Körper, ein menschlicher Körper. Als Alex das erkannte, schossen alle möglichen Gedanken durch ihren Kopf, und sie bekam keinen einzigen davon zu fassen. Ruhig, du musst wieder ruhig werden, sagte sie sich. Jetzt endlich entdeckte sie auch den Lichtschalter. Sie hatte an der falschen Seite der Tür gesucht. Neugier und Angst hielten sich die Waage, als sie den Schalter drehte. Vor Aufregung vergaß sie sogar,die Tür zu schließen. Ihre Rechte umfasste den Griff ihres Messers, während die verbundene Linke den Lichtschalter drehte.
    Doch in diesem Raum war niemand mehr, der ihr gefährlich werden konnte.
    Da unten, in seinem Blut, das langsam im Teppich versickerte, lag Eberhard Kallweit. Sein Körper war so entsetzlich zugerichtet, wie Alex es noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, das Gesicht eine blutige, verkrustete Masse. Sie musste zweimal hinschauen, um ihn überhaupt zu erkennen, aber der graue Kittel, den der Tote trug, ließ keinen Zweifel. Ihre Knie wurden weich, sie musste sich am Türrahmen abstützen. Und dann erbrach sie das bisschen, was sie heute Abend gegessen hatte, direkt gegen die Wand.
    13
    R udolf Höller stapfte durch den märkischen Sand. Guter Dinge, obwohl der frühe Morgen eigentlich nicht seine Tageszeit war. Er hätte im Wagen sitzen bleiben können, aber er wollte einen Blick auf die Deponie werfen, wollte sehen, was aus ihr geworden war. Ein Schwarm Krähen flatterte auf, hinauf in den Morgendunst, als er auf einen Ast trat, der direkt an der Einfahrt auf dem Weg lag. Außer dem Flügelschlag der Vögel, ihrem Gekrächze und dem Rauschen des Windes in den Wipfeln der Kiefern war nichts zu hören. Um diese Zeit waren die Müllwagen noch in der Stadt unterwegs, erst später im Laufe des Tages würden sie mit ihren Fuhren anrollen, und dann würde die Müllflut nicht mehr abreißen, die sich bis zum späten Abend in die Deponie ergießen würde, die eigentlich nichts anderes war als eine ehemalige Tongrube.
    Dahinten der Wald, auf der gegenüberliegenden Seite der großen Senke, das war schon Groß-Berlin; die Deponie aber lag voll und ganz außerhalb der Viermillionenstadt. Die Berliner verbuddelten ihre Abfälle nicht gerne innerhalb der Stadtgrenzen. Und Schön­eiche war ein hervorragender Ort, um Dinge loszuwerden, die man loswerden musste, keiner wusste das besser als Rudi Höller.
    Dass sie ihm ausgerechnet die Deponie als Treffpunkt genannthatten, war ihm wie ein Wink des Schicksals erschienen. Hier kannte er sich aus, Schöneiche, das war

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