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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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gelassen. Und jetzt, noch während er sich umdrehte, fiel ihm auch ein, was ihn an dem Müllwagenfahrer so irritiert hatte. Der Mann trug zwar keinen eleganten Anzug wie die anderen beiden, er trug aber auch nicht die Dienstkleidung der Bemag. Die falsche Kleidung war allerdings nicht so fatal wie ein anderes Detail, das Rudi erst jetzt bemerkte. Komischerweise irritierte ihn an der Pistole in der Hand des Mannes zunächst nur, dass es sich um ein Modell handelte, das er noch nie zuvor gesehen hatte – und das musste etwas heißen, denn Rudi Höller kannte verdammt viele Pistolen. Und er ahnte, obwohl ihm nicht mehr viel Zeit zum Denken blieb, dass die, auf deren Lauf er jetzt starrte, die letzte sein würde, die er jemals kennenlernen sollte. Womöglich ein amerikanisches Fabrikat, dachte er noch, dann sah er das Mündungsfeuer aufblitzen. Den Knall konnte er schon nicht mehr hören.
    14
    A ndreas Lange hatte schlecht geschlafen. Der gestrige Tag saß ihm noch in den Knochen, obwohl er eigentlich besser verlaufen war als befürchtet. Die eigenen Kollegen verhören, das war eine verdammt undankbare Aufgabe, ganz gleich, um was es ging. Wahrscheinlich hatte Gennat genau deshalb auch ihn damit betraut, den Frischling aus Hannover, den ohnehin kaum einer ernst nahm am Alex. Natürlich, er hatte Wochenenddienst gehabt und war als erster Kriminalbeamter bei der Leiche gewesen, aber das traf auch für Reinhold Gräf zu, und der durfte mit der Rath-Truppe nun irgendwelche Sonderaufgaben erledigen, angefordert von ganz oben, wie man hörte. Und Kriminalassistent Lange durfte seinen ersten eigenen Todesfall als leitender Ermittler bearbeiten.
    Nur ein Schaulaufen für Gennat, eine Sache, bei der man nicht viel falsch, bei der man sich höchstens unbeliebt machen konnte am Alex. Der Buddha musste keinen seiner Lieblinge dafür opfern und konnte sich gleichzeitig in aller Ruhe anschauen, wie der Kriminalassistent aus Hannover sich nach einem guten Jahr in Berlin so entwickelt hatte.
    Die Verhöre waren dann doch weit weniger schlimm verlaufen, als Lange befürchtet hatte. Polizeibeamte wussten, welche Angaben wesentlich waren für ein Verhörprotokoll, selbst Schutzpolizisten wussten das, man musste ihnen nicht alles mühsam aus dem Kreuz leiern wie irgendwelchen renitenten Zivilisten. Fast druckreif hatten sie gesprochen, alle hatten kooperiert, niemand hatte gemauert, keiner einen dummen Spruch losgelassen oder gegen die Vernehmung protestiert. Eigentlich hatte er schon alle wesentlichen Informationen beisammen, es gehörte nur noch ins Reine geschrieben und abgeheftet. In ein paar Tagen könnte er die Akte dem Staatsanwalt übergeben, und der würde das Verfahren erwartungsgemäß einstellen.
    Wie es aussah, traf die Einsatzleitung keinerlei Schuld, der Kaufhauseinbrecher hatte versucht, über die Fassade zu fliehen und war bei dieser waghalsigen Aktion abgestürzt. Solche Dinge passierten nun einmal. »Einer weniger von der Sorte«, so hatten einige Kollegen in der Kantine gesagt, und das nicht mal hinter vorgehaltener Hand. Lange sah das anders, Menschenleben war Menschenleben. Und der Tote vom KaDeWe war fast noch ein Kind, jedenfalls sah er so aus, identifiziert hatten sie ihn immer noch nicht. Ein tragischer Fall also. Auch der Einsatzleiter, ein junger Polizeileutnant, hatte den tödlichen Zwischenfall mehr als nur bedauert, Lange hatte ihn fast trösten müssen, so zerknirscht wirkte der Mann. Kein Wunder: so jung, und dann solch eine Verantwortung schultern. Leutnant Tornow war keine zwei Jahre älter als Lange, und der Kriminalassistent wusste nicht, wie er mit so einem Zwischenfall fertig geworden wäre.
    Und dann gestern Abend – Lange hatte seine Sachen bereits zusammengepackt und wollte das Büro gerade verlassen – hatte Doktor Schwartz angerufen. Dieser Anruf war es, der den Kriminalassistenten die ganze Nacht noch verfolgen und schlecht schlafen lassen sollte. »Ich muss Ihnen etwas zeigen«, hatte der Gerichtsmediziner gesagt, »können Sie morgen früh in die Hannoversche Straße kommen? Am besten noch vor Dienstbeginn.«
    Und so stand Lange jetzt in einer frischen Morgenbrise auf den Stufen vor dem gelben Backsteingebäude, mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und dem immer stärker werdenden Bedauern darüber, heute gefrühstückt zu haben. Er stand bereits oben auf der Treppe, direkt vor der Eingangstür des Leichenschauhauses, aber er zögerte noch hineinzugehen. Bislang hatte der Kriminalassistent

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