Goldstein
zusammengerollt, als ahnte er, dass sein Herrchen sich genau dort hinsetzen würde.
Kirie war so etwas wie die lebende Erinnerung an einen Mordfall, Rath hatte das Tier sozusagen geerbt. Der Hund hatte einem Mordopfer gehört, und niemand sonst hatte ihn zu sich nehmen wollen, nicht einmal die Eltern der Toten. So hatte Rath das Tier behalten, das sie seinerzeit völlig verwahrlost gefunden hatten, eingesperrt in der Wohnung seines toten Frauchens. Aus dem süßen Welpen war mittlerweile eine richtige halbstarke Hundegöre geworden.
»Für dich müssen wir uns ja auch noch was überlegen«, sagte Rath. »Frauchen kann dich nicht länger mitnehmen, also musst du wohl wieder Polizeihund spielen.« Kirie horchte auf, als habe sie seine Worte verstanden, und legte ihren schwarzen Hundekopf schief.
Rath öffnete die Cognacflasche und schnupperte am Flaschenhals, bevor er sich einschenkte. Ein Geruch, ebenso fremd wie vertraut, der alte Zeiten wieder heraufbeschwor, Zeiten, in denen er allein in seiner Kreuzberger Wohnung am Luisenufer gesessen und regelmäßig den Ärger des Tages bekämpft hatte, bevor er zu Bett gegangen war. Sollte Charly ruhig schimpfen, heute war ein Tag, an dem er das wieder brauchte, ein Tag, an dem er verdammt noch mal Ärger genug gehabt hatte, den der Cognac hinunterspülen musste.
Wenn er nur daran dachte, spürte er, wie sein Wutpegel wieder stieg wie die Quecksilbersäule eines Thermometers, das man in kochendes Wasser hielt. Er verfluchte Abraham Goldstein, dem er diesen Ärger zu verdanken hatte, und er verfluchte Bernhard Weiß, der ihm diesen Auftrag aufs Auge gedrückt hatte.
Czerwinski und Henning hatten bereits eineinhalb Stunden auf ihn gewartet, als Rath mitsamt der Zielperson endlich wieder im Excelsior erschienen war. Wie gründlich Goldstein ihm aber den Feierabend vermiest hatte, das sollte Rath erst später erfahren, als er den Ami in der Obhut von Plisch und Plum zurückgelassen hatte und zurück in den Wedding gefahren war, um sein Auto abzuholen – mit einem Taxi, fest entschlossen, die Spesenrechnung weiter in die Höhe zu treiben. Während der ganzen Fahrt hatte er kein Wort gesprochen und vor Wut nicht einmal aus dem Fenster geschaut. Der Buick hatte noch an derselben Stelle gestanden, an der Rath ihn abgestellt hatte. Kösliner Straße, ein berüchtigtes rotes Pflaster, eine Gegend, in der sonst selten Sportwagen amStraßenrand parkten. Und irgendwer schien gewusst zu haben, dass dieser Wagen einem Bullen gehörte. Oder hatte den Buick für das Spielzeug eines Kapitalisten gehalten. Jedenfalls hatte er ganze Arbeit geleistet.
Sämtliche Räder hatten einen Plattfuß, die Schweinwerfer waren eingetreten. Am meisten ärgerte Rath sich über die Kratzer im Lack. Die reine Zerstörungswut, der reine Neid, nichts sonst. Arbeitsloses Gesocks! Rath war zu der Eckkneipe gegangen, die er wenige Stunden zuvor schon einmal besucht, eigentlich nur durchquert hatte, wild entschlossen, die Schuldigen ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen, doch die Rote Laterne hatte bereits geschlossen. Keine zehn und schon geschlossen. Nun war er sich sicher, dass Goldstein die Leute, die den Buick demolieren sollten, in der Kneipe rekrutiert hatte, wie auch immer er das angestellt haben mochte. Wahrscheinlich musste man nur ausreichend Geldscheine hinlegen.
Dann das Problem mit dem Abschleppwagen. Rath hatte bis zur S-Bahn laufen müssen, zum Senefelder Platz, bis er den ersten öffentlichen Fernsprecher gefunden hatte, und der war natürlich kaputt. Wenigstens ein Taxi hatte er auf der Reinickendorfer Straße anhalten können, und mithilfe des Taxifahrers dann auch noch eine Werkstatt mit Nachtbetrieb gefunden, die den lädierten Buick endlich abschleppen konnte. Da allerdings hatten die Zeiger seiner Armbanduhr schon auf halb elf gestanden. Und die Werkstatt lag irgendwo in Reinickendorf.
Ein Glas Cognac reichte nicht, um die ganze Wut, die sich da angestaut hatte, hinunterzuspülen, Rath goss sich ein zweites ein. Und dann noch ein drittes. Die Reparaturkosten für den demolierten Wagen würde er dem Freistaat Preußen in Rechnung stellen, das hatte er bereits im Taxi zur Spenerstraße beschlossen.
Kirie war inzwischen eingeschlafen, Rath hörte das leise Schnarchen des Hundes. Er spülte das leere Cognacglas aus und stellte es in den Spülstein. Im Bad putzte er sich übergründlich die Zähne und kippte zwei große Gläser Wasser hinunter. Er wollte morgen früh nicht
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