Goldstein
entlang, vorbei an den Kränen, die jeden Tag tonnenweise Waren bewegten, vorbei an den Schiffen, die auf der Spree schaukelten und darauf warteten, wieder beladen zu werden. Um diese Uhrzeit war nicht mehr viel los im Hafen; auf den Schiffen schliefen sie schon, und die wenigen Arbeiter, die er noch traf, hatten müde Gesichter.
Sie warteten bereits an der Rampe. Als er die beiden Männer sah, wusste Hugo Lenz sofort, dass sie es sein mussten. Ein bisschen zu fein gekleidet für diese Gegend, auch wenn die Anzüge von der Stange kamen. Typische Bullenanzüge.
Sie schienen es also ernst zu meinen. Zufrieden atmete er eine große Brise Spreeluft. Hugo Lenz brauchte keinen Johann Marlow mehr, um sich das Rattenpack der Nordpiraten vom Leibe zu halten. Unwillkürlich musste er grinsen. Jetzt würde alles anders werden. Und Johann Marlow, dieser arrogante Pinsel, könnte ihm ein für alle Mal gestohlen bleiben.
11
D as Haus lag im Dunkeln, als Rath unten aufschloss, alles schlief schon. Kein Wunder, kurz vor Mitternacht; er fühlte sich auch so, als gehöre er seit Stunden ins Bett. Und hatte dennoch eine Wut im Bauch, die ihm das Einschlafen erschweren würde, das wusste er jetzt schon. Er machte Licht im Treppenhaus und stieg die Stufen hoch, vorbei an der Tür der Brettschneider, die immer so komisch guckte, wenn sie ihm im Haus über den Weg lief. Wollte nicht in ihren Spießerkopf, dass ein Mann in der Wohnung Ritter/Overbeck ein und aus ging, ausgerechnet in einer Wohnung, die sich zwei junge Frauen teilten. Der Vermieter hatte die Zweckgemeinschaft akzeptiert, nicht aber Frau Brettschneider. Und dass dieser Mann mittlerweile sogar, da Fräulein Overbeck zwei Semester in Uppsala studierte, ganze Nächte in der Wohnung verbrachte und einen eigenen Schlüssel besaß, das passte nun überhaupt nicht in das Weltbild der alleinstehenden pensionierten Lehrerin. Rath verspürte große Lust, ihre Türklingel zu drücken, bevor er in Charlys Wohnung verschwand, doch im Sinne des Hausfriedens widerstand er dieser Versuchung. Den Ärger würde schließlich Charly bekommen, nicht er.
Er schloss die Wohnungstür auf, so leise wie möglich, und tastete sich langsam und ohne Licht zu machen in die Küche. Erst als er die Küchentür wieder geschlossen hatte, drehte er den Lichtschalter an. Er blinzelte ins Helle und entdeckte einen Zettel auf dem Küchentisch. Rath nahm den Hut ab und las, während er seinen Mantel auszog.
Lieber Gereon,
ich hab tatsächlich noch ein bißchen gewartet, weil ich dachte, wir sehen uns heute noch, aber jetzt bin ich doch zu müde, bin schon fast nicht mehr in der Lage, Dir diese Zeilen zu schreiben. Und morgen muß ich wieder früh raus. Ärgerlich, das mit Deinem Auto. Erzähl mir morgen früh, was genau passiert ist. C.
PS: Im Schrank steht eine angebrochene Flasche Rotwein. Wollte ich eigentlich mit Dir zusammen trinken, aber dann machen wir es eben zeitversetzt. Wenn Du magst.
Rath ging zum Buffetschrank und öffnete die Tür. Da stand die Weinflasche, noch mehr als halb voll. Zwei Gläser musste Charly schon allein getrunken haben. Er stellte sich vor, wie sie da am Tisch gesessen hatte, irgendein juristisches Buch aufgeschlagen, ein Weinglas auf dem Tisch, und immer müder werdend auf ihn gewartet hatte. Wie er sie so vor sich sah, hätte er sie am liebsten auf der Stelle in den Arm genommen, aber sie saß nicht da, sie lag längst im Bett und schlief, und er durfte sie nicht wecken.
Neben dem Wein stand die Cognacflasche, die er vom Luisenufer mitgebracht hatte. Rath überlegte nur kurz, dann ließ er die Weinflasche stehen und nahm den Cognac aus dem Schrank.
Er hatte das schon lange nicht mehr gemacht vorm Schlafengehen. Nicht nur, weil Charly dann über seine Fahne schimpfte, er hatte auch gemerkt, dass er das gar nicht mehr brauchte, dass es reichte, an ihrer Seite einzuschlafen, um die Dämonen zu vertreiben, die Albträume, die ihn eine Zeit lang Nacht für Nacht heimgesucht hatten. Und so hatte er die unselige Angewohnheit wieder aufgegeben, sich an manchen Abenden in den Schlaf zu trinken. Mittlerweile glaubte er, dass schon der Duft ihres Körpers reichte, um die Dämonen fernzuhalten.
Etwas tapste über den Dielenboden und scharrte an der Tür. Rath öffnete. Ein schwarzer Hund stand draußen und schaute ihn an.
»Hab ich dich geweckt, Kirie?«, fragte Rath und ließ das Tier hinein.
Als er das Glas aus dem Schrank holte, hatte sich der Hund schon unter dem Tisch
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