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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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sozusagen Heimatterrain. Vor ein paar Jahren hatte Rudi noch selbst als Müllfahrer gearbeitet und jeden Tag seine Fuhren hier auf der Deponie abgeladen. Dann aber hatte er seine Touren mehr und mehr dafür genutzt, geeignete Objekte für einen Bruch auszubaldowern, schließlich auch Drogenpakete an die richtigen Adressen zu bringen, ein sehr einträgliches Geschäft. So war er irgendwann bei den Nordpiraten gelandet und hatte sich dort durch- und schließlich bis an die Spitze geboxt, und das nicht nur im übertragenen Sinne. Diesen Führungsanspruch hatte er auch jetzt nach den Jahren im Kahn wieder durchgesetzt, gemeinsam mit Hermann, der die zwei Jahre Tegel zusammen mit ihm abgerissen hatte.
    Die Piraten lechzten nach starker Führung. Seit der großen Katastrophe am Reichskanzlerplatz, wo der halbe Ringverein den Bullen in die Hände geraten war, kämpften die Piraten ums nackte Überleben. Und die verfluchte Berolina hatte sich seither breiter und breiter gemacht.
    Das sollte jetzt ein Ende haben. Nicht mehr lange, und die Piraten würden sich nicht mehr allein darauf beschränken, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Das Treffen heute könnte alles ändern, endlich war er an jemanden herangekommen, der zwar dem roten Hugo die Treue hielt, dem aber Johann Marlow, genannt Doktor M., schon lange ein Dorn im Auge war. Und die Berolina wurde von Marlow geleitet, nicht von Hugo Lenz, so viel stand fest. Ohne Doktor M. würde die Berolina zerbröseln wie trockenes Laub.
    Ja, das hier war die Chance, es Doktor M. endlich heimzuzahlen, diesem arroganten Schnösel zu zeigen, wer etwas zu sagen hatte in dieser Stadt. Rudi Höller wusste genau, wem er die Jahre im Knast zu verdanken hatte. Sie waren verpfiffen worden, die Bullen hatten sie im Tresorraum schon erwartet, als er mit Lapke und einigen anderen am Reichskanzlerplatz in die Bank gestiegen war. Der Tipp war aus der Ecke der Berolina gekommen, und wenn die Berolina mit der Polente zusammenarbeitete, dann hatte Johann Marlow seine Finger im Spiel, der das halbe Präsidium in seiner Tasche hatte. Aber das würde Doktor M. nichts mehr nutzen, wenn er sich die Radieschen von unten anschaute.
    Ratten-Rudi, wie Höller von Freund und Feind genannt wurde,kannte keinerlei Skrupel, wenn es darum ging, jemanden um die Ecke zu bringen. Dieser Tatsache hatte er seinen Spitznamen zu verdanken. Und natürlich seinem früheren Beruf. Auf der Deponie gab es Tausende von Ratten, viel mehr als Krähen. Nur konnte man die Ratten nicht sehen, die machten keinen Lärm wie das Flattervieh, die hielten sich im Untergrund und griffen nur dann an, blitzschnell und mitleidlos, wenn es nötig war.
    Nachdem Rudi gesehen hatte, wie die Deponie in den letzten Jahren gewachsen war, mit stolzem Blick, fast so, als wäre das alles sein Werk, drehte er wieder um. Als er zu seinem Auto zurückkehrte, das er am Waldrand hatte stehen lassen, sah er, dass nun eine schwarze Limousine dahinter parkte. Hinter der Windschutzscheibe konnte er zwei Männer erkennen. Er befühlte die alte Weltkriegsmauser hinten in seinem Hosenbund, doch dann ließ er die Waffe stecken, denn ein Müllwagen rumpelte langsam über den Zufahrtsweg und näherte sich der Deponie. Rudi drehte sein Gesicht zum Wald, nicht dass der Fahrer ihn womöglich von früher kannte. War ziemlich früh dran, der Müllwagen. Einerseits störte er ihr Treffen, andererseits aber fühlte Rudi sich so auch sicherer. Dass die anderen zu zweit kommen würden, davon war keine Rede gewesen. Ausdrücklich hatte der Anrufer gesagt, man würde sich unter vier Augen treffen. Der Müllwagen hatte Rudi jetzt passiert und rollte langsam weiter. Die Türen der schwarzen Limousine öffneten sich, und zwei gutgekleidete Männer stiegen aus. Rudi näherte sich ihnen. Denen würde er die Meinung geigen! Er mochte es nicht, wenn man sich nicht an Verabredungen hielt.
    Dann hörte er die Druckluftbremsen des Mülltransporters zischen und drehte sich um. Der Wagen war nur wenige Meter hinter ihm stehen geblieben, und der Fahrer stieg aus seiner Kabine. Rudi wandte sich wieder der dunklen Limousine und den beiden Männern zu, ruhiger jetzt und sicherer. Die würden ihn ja wohl nicht vor einem Zeugen einfach so abknallen.
    Erst als er hinter sich etwas rascheln hörte und sich ein zweites Mal umdrehte, merkte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte sich zu sehr auf die Männer in der Limousine konzentriert und den Müllwagenfahrer völlig außer Acht

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