Goldstein
sie und ging weiter. »Mein Chef schimpft jedes Mal fürchterlich, wenn ich zu spät komme.«
»Moment mal, Frollein!«
Alex hörte den Schupo näher kommen, sie beschleunigte ihre Schritte, ohne sich noch einmal umzudrehen, einfach loslaufen wagte sie nicht, und bevor sie sich doch noch dazu entschließen konnte, spürte sie schon seine Hand auf ihrer Schulter. Instinktiv umklammerten ihre Finger das Schnappmesser in der Manteltasche.
»Ich will doch nur eine kurze Auskunft«, sagte der Schupo, »dauert nicht lange. Es geht um einen Jungen hier aus der Nachbarschaft. Eigentlich um zwei Jungen.«
Alex drehte sich um, ihr blieb keine andere Wahl. Doch sie schaute zu Boden, als sei sie eine schüchterne Unschuld vom Lande.
»Ich kenn hier keine Jungen«, sagte sie. »Mutter erlaubt mir das nicht.«
Seine Hand umfasste ihr Kinn und drehte ihr Gesicht nach oben.
»Sag mal Mädchen, kenn ich dich nicht?«
Nun sah sie sein Gesicht, sah es so nah wie noch nie und glaubte zu spüren, wie hinter dieser Stirn ganz langsam ein Groschen fallen wollte. »Oh, mein Schuh«, sagte sie schnell und bückte sich.
Scheiße! Er hatte sie erkannt, oder? Würde sie jeden Moment erkennen, dieses Arschloch, dieser Mörder! Mit der Linken fummelte sie an ihren Schuhen herum, mit der Rechten ließ sie das Messer in der Manteltasche aufschnappen.
Kein Pardon! Dieses Schwein hat Benny auf dem Gewissen!
Wieder fühlte sie seine Hand auf der Schulter und wusste, dass es nun kein Zurück mehr gab. Nur noch eine Chance. Sie schoss aus der Hocke hoch, zog ihm die Klinge einmal quer durchs Gesicht und riss sich los. Der Bulle schrie laut auf, mehr vor Überraschung als vor Schmerz, glaubte Alex, die für den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt dastand und den Schupo anschaute, der sich mit beiden Händen ins Gesicht gefahren war und nun ungläubig in die blutbeschmierten Handflächen glotzte.
Er hat dich losgelassen, nun renn schon weg!
Doch sie konnte nicht, sie starrte ihn an.
Blut lief über seine rechte Wange und den Nasenrücken, ungläubig und wütend schaute er sie an, die gleiche wütende Fratze, die Alex auf dem KaDeWe gesehen hatte.
Und dann, endlich, lief sie los. Sie wusste nicht, ob sie eine Chance hatte gegen diesen Kerl, doch sie sah keinen anderen Ausweg mehr außer zu rennen. Rennen, rennen, rennen, so schnell sie nur konnte. Sie hörte ihn rufen, doch sie lief weiter.
»Halt, stehen bleiben, Polizei!«
Leck mich, dachte sie, wenn du mich kriegen willst, musst du schon laufen, Fettsack!
Er rief ihr noch etwas hinterher, aber der Abstand zwischen ihnen hatte sich vergrößert. War der Bulle stehen geblieben? Dann erst verstand sie, was er da überhaupt rief.
»Polizei! Bleiben Sie sofort stehen, oder ich schieße!«
Das konnte der doch nicht ernst meinen! Glaubte der etwa, sie würde darauf hereinfallen? Sie lief weiter und duckte sich unwillkürlich, als tatsächlich ein Schuss über die Straße peitschte. Ein Querschläger heulte durch die Luft. Der Bulle hatte nur den Laternenmast getroffen – aber er hatte geschossen, er hatte tatsächlich geschossen! Am helllichten Tag mitten in der Stadt! Die Gelegenheit war günstig, im Augenblick war kein Mensch auf der Straße, alle saßen sie beim Mittagessen, nicht einmal mehr vor der Heilsarmee standen Leute.
Keine Zeugen.
Verdammt, kommt an die Fenster, dachte Alex, bindet eure Servietten ab und kommt an die Fenster, kommt vor die Türen! Dass dieser Kerl hier nicht einfach so rumballern kann. Aber natürlich kam niemand, und sollte wirklich noch jemand draußen gewesensein, dürfte der sich spätestens nach dem Schuss verkrümelt haben. Mit schießenden Bullen hatte man in dieser Stadt schlechte Erfahrungen gemacht.
Alex begann Haken zu schlagen, lief im Zickzack dem Verkehrslärm auf der Landsberger Straße entgegen. Als sie die Barnimstraße überquerte, schaute sie sich kurz um. Der Bulle war stehen geblieben, vielleicht hundert Meter hinter ihr, und legte tatsächlich noch einmal an. Alex sprang zur Seite, und im selben Moment fiel der Schuss. Sie meinte die Kugel pfeifen zu hören, aber wahrscheinlich war es nur der Wind, als sie zur Seite abrollte und einen Augenblick später auch schon wieder auf den Beinen war. Ihre verletzte Hand schmerzte, sie musste unglücklich damit aufgekommen sein, aber das war jetzt egal.
Der wollte sie tatsächlich abknallen wie ein Karnickel!
Endlich hatte sie den Büschingplatz erreicht, endlich wieder Leute. Sie drängte sich
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