Goldstein
hatte er den spektakulären Mord an einem Chauffeur aufgeklärt und in der Presse dafür einiges Lob eingeheimst. Ein fähiger Kriminalist, aber ein wenig unnahbar, so hatte sie den Mann mit der markanten Nase in Erinnerung. Ein Mann, dem der Ehrgeiz aus den wachen Augen sprühte, dem bei jeder Tätigkeit anzusehen war, und wenn er nur seine Bleistifte spitzte, dass er noch Karriere machen wollte.
Nur dass er die bislang nicht gemacht hatte: Seit Jahren war Arthur Nebe, der schon auf die vierzig zuging, über den Dienstgrad eines Kommissars nicht hinausgekommen, obwohl er in der Burg als Liebling von Bernhard Weiß galt. Da war der Mann allerdings in guter Gesellschaft; der Beförderungsstau in der Burg hatte mittlerweile motivationstötende Dimensionen angenommen, Protektion hin oder her. Das hatte auch Gereon schon erfahren müssen, dem sein besonderes Verhältnis zu Zörgiebel außer Neid auch nicht viel eingebracht hatte.
Nebe schien überrascht, als er Charly erblickte.
» Sie sind das?«, fragte er.
»Sie kennen mich?«
»Natürlich kenne ich Sie noch. Charlotte Ritter. Stenotypistin bei Gennat.«
Hatte ein gutes Personengedächtnis, der Mann. Charly staunte.
»Bei Gennat arbeite ich schon länger nicht mehr. Staatsexamen. Vor einem dreiviertel Jahr. Und zur Zeit im juristischen Vorbereitungsdienst ...«
»... den Sie offensichtlich im Amtsgericht Lichtenberg absolvieren.«
Charly nickte. »Natürlich, das wissen Sie ja«, sagte sie. »Dann wissen Sie auch, dass Sie es mir zu verdanken haben, dass die zweite Verdächtige im KaDeWe-Einbruchsfall immer noch frei herumläuft.«
»Na, nun lassen Sie mal die Selbstvorwürfe«, meinte Nebe, dessen Haar an den Schläfen schon grau wurde, wie Charly bemerkte. »So etwas kann jedem passieren.«
»Hätte ich gewusst, was sie alles getan hat ... Ich habe sie für eine randalierende Schwarzfahrerin gehalten, die aus einem Erziehungsheim ausgebüxt ist.«
»Sie konnten ja nicht ahnen, um wen es sich handelt.« Nebe hatte eine ruhige, angenehme Stimme. »Wir kennen die Zusammenhänge doch auch erst seit heute Morgen.« Der Kommissar versuchte tröstend zu klingen, und das gelang ihm tatsächlich besser, als Gereon das gestern hinbekommen hatte.
»Na, wenigstens habe ich herausfinden können, wie das Mädchen heißt«, sagte Charly.
»Tatsächlich?« Nebe zog überrascht die Augenbrauen hoch und zückte einen perfekt gespitzten Bleistift.
»Alexandra Reinhold«, diktierte Charly, »wohnungslos, stammt aus Friedrichshain.«
»Reinhold mit de oder de-te?«
»Mit de.«
Nebes Stift kratzte übers Papier, und Charly wunderte sich: Wie eine Verräterin fühlte sie sich plötzlich, als sie sah, wie der Kommissar den Namen notierte, dabei war es doch das Mindeste, was sie tun konnte, um ihren Fehler wiedergutzumachen.
»Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte, Fräulein Ritter. Diese Information hat mir Ihr Vorgesetzter in Lichtenberg nicht gebenkönnen.« Nebe klappte sein Notizbuch zu. »Der eigentliche Grund, warum ich Sie hergebeten habe, ist ein anderer. Wir brauchen eine Personenbeschreibung.«
»Hat Justizrat Weber Ihnen das Mädchen denn nicht beschreiben können?«
»Wenn ich Weber recht verstanden habe, hat er mit dem Fall doch gar nichts zu tun.«
Weber, du feige Ratte, dachte Charly, versuchst deine Hände jetzt schon in Unschuld zu waschen, was? Vielleicht hatte Gereon recht, vielleicht sollte sie Webers Mitschuld an der ganzen Geschichte nicht verschweigen. Dass der Justizrat selbst versuchte, die Sache unter den Teppich zu kehren, zeugte nur von seinem schlechten Gewissen.
»Wie dem auch sei«, fuhr Nebe fort, »Sie jedenfalls haben das Mädchen ... Alexandra Reinhold ... gesehen und können es hoffentlich auch beschreiben. Ich habe nach einem Zeichner rufen lassen. Müsste jeden Augenblick hier sein.«
Kurz darauf saß Charly vor einem Mann mit Zeichenblock und versuchte, sich möglichst genau an das Aussehen von Alexandra Reinhold zu erinnern. Es gelang ihr ganz gut. Und ebenso dem Zeichner: Das Gesicht, das schließlich aus dem Block blickte, sah genau so aus, wie Charly das ängstliche Mädchen in Erinnerung hatte. Allein der Blick wirkte anders, nicht so ängstlich; die Alex auf dem Papier schaute herausfordernd und provozierend, fast ein wenig furchteinflößend.
Aber sie wollte nicht meckern, vielleicht mussten Steckbriefe so aussehen, und ansonsten hatte der Mann gute Arbeit geleistet. Sie nickte. Der Zeichner riss das Blatt aus dem
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