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seine Aufmerksamkeit, und er sah, wie der Falke seines Vaters durch die Wolkendecke brach, sich kurz vom Wind tragen ließ und dann hinter den metallenen Gipfeln in der Ferne verschwand.
Governor’s Island
D ie dritte Atombombe, die in der Geschichte des Planeten gegen Zivilisten eingesetzt wurde, wurde am 7. April 2046 von Pakistan in der Nähe von Mumbai, Indien, gezündet. Vier Tage später detonierte ein indischer Atomsprengkopf in einem Schulbus, der auf einer belebten Straße in Islamabad geparkt war. Beide Angriffe zusammengenommen kosteten schätzungsweise siebzehn Millionen Menschen auf der Stelle das Leben und lösten den größten Flüchtlingsstrom der Geschichte aus.
Binnen zwei Wochen nach den Angriffen traf die erste Welle von Indern in New York City ein. Da die Vereinigten Staaten nicht tiefer in den indisch-pakistanischen Krieg verstrickt werden wollten, erklärten sie, nicht in der Lage zu sein, Flüchtlingen für längere Zeit Asyl zu gewähren. So wurden die Menschen in Lager verbracht, die man im Hochsicherheitstrakt der Transkriptorenentwicklung auf Governor’s Island errichtet hatte. Da dort jedoch bereits Tausende registrierter Transkriptoren lebten, wurde das Areal zu einem überbevölkerten Slum, ein verarmter Haufen Bollywood und Curry, gemischt mit Gentechnik und gewürzt mit Transkriptorenterroristen, alles nur wenige hundert Meter von der Freiheitsstatue entfernt.
Dieser Ort ist die Hölle, dachte Arden, als seine Fähre im Hafen losmachte und die Silhouette der Insel rasch näher kam.Über das Wasser hinweg konnte er die Menschenmassen sehen, die sich an der Anlegestelle drängten. Auf der Insel hatte sich die Geschichte umgekehrt, bis alles wieder so aussah wie in den Einwanderervierteln der Lower East Side im 19. Jahrhundert. Jeder Quadratzentimeter der Insel wurde genutzt – von Marktkarren, Schrotthändlern, Prostituierten und Menschen, die in der Gosse schliefen und um Kleingeld bettelten.
Die Fähre legte an. Sofort drängten sich Bettler an der Gangway. Arden stieg aus und schob sich durch die Menge. Und dann sah er sie. Sie war noch immer genauso schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Queen Elizabeth stand auf der anderen Seite des Piers. Sie winkte und lächelte, umarmte Arden und drückte ihn fest an sich. Sie fühlte sich wundervoll an.
»Charles«, sagte sie, die Arme noch immer um ihn geschlungen. »Es ist schön, dich zu sehen.«
Queen Elizabeth hatte ein kleines Zimmer in einer der alten Kasernen, die sich überall auf der Insel fanden. Dort gab es ein Doppelbett, einen Nachttisch, kahle weiße Wände und ein Foto von Ardens Tochter. Arden nahm das Bild vom Nachttisch und betrachtete es einen Moment. Es zeigte seine Tochter an einem längst vergangenen Sommertag, fröhlich und lachend, bevor sie krank geworden war.
»Ich wusste gar nicht, dass du das behalten hast«, sagte Arden.
Queen Elizabeth zuckte mit den Schultern. »Ich habe viele schöne Erinnerungen an deine Tochter. Sie ist noch viel zu jung, um uns zu hassen.«
Arden schaute zu Boden. Plötzlich schämte er sich für den winzigen Raum, die kahlen Wände und das Gedränge, das Queen Elizabeth jeden Tag ertragen musste. Fünf Jahre lang hatte sie praktisch mit Arden zusammengelebt. Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, hatte er jemanden gebraucht,der ihm mit seiner Tochter half, während er arbeitete. Und fünf Jahre lang war das Queen Elizabeth gewesen – so lange, dass sie fast schon ein Familienmitglied geworden war. Ardens Tochter liebte sie, und was Arden selbst betraf, so hatten sich seine Gefühle für sie in eine Richtung entwickelt, die ihn noch heute schmerzte.
Aber Queen Elizabeth lebte auf einer anderen Existenzebene. Sie war eine Transkriptorin. Ihre Welt konnte sich nicht der menschlichen Welt anpassen – auch nicht nach fünf Jahren im selben Haus, in denen man dieselbe Luft geatmet, dasselbe Essen gegessen und dieselbe Tochter geliebt hatte.
»Können wir von hier verschwinden und ungestört reden?«, fragte Arden. Er konnte es keinen Augenblick länger in diesem Raum aushalten. Queen Elizabeth musterte sein Gesicht und schien dann durch ihn hindurchzusehen. Es machte ihn krank, dass sie hier lebte, dass er sie aus seinem Haus getrieben und zu diesem Leben verdammt hatte.
»Sicher«, sagte sie. »Hier fällt einem ziemlich schnell die Decke auf den Kopf. Ich arbeite gerade oben auf dem Dach an einem Bild.«
Draußen atmete Arden erst einmal tief durch. Vom Dach des Hauses
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