Golem stiller Bruder
sanften, klagenden Männerstimmen hüllten mich ein und trösteten mich, und ich erinnerte mich, wie ich es als Kind genossen hatte, noch im warmen Bett zu liegen, während mein Vater das Morgengebet sprach und Tante Schejndl mit dem Rücken zu mir am Herd stand und das Feuer anmachte. Auf einmal merkte ich, dass Rochele nicht neben mir lag, und ich begriff, dass sie noch gar nicht geboren war. Da wusste ich, dass die Frau, die das Reisig brach und in den Herd schob, nicht Tante Schejndl war, sondern meine Mutter. Sie drehte sich zu mir und lächelte mich an und ich versank in ihren Taubenaugen.
In diesem Moment spürte ich die Hand meines Onkels auf meinem Arm. »Komm mit, Jankel«, flüsterte er, »ich muss mit dir sprechen.«
D er Hohe Rabbi Löw führte den Jungen in den Innenraum der Synagoge. Hier brannte außer der Ewigen Lampe, die an Ketten vor dem Toravorhang hing, nur noch eine weitere Kerze, doch ihr Licht wurde von der Dunkelheit fast verschluckt, nur die Schatten der beiden Säulen waren zu erkennen, die in die Höhe ragten wie dunkle Bäume vor einem noch dunkleren, mondlosen Himmel, sonst nichts, aber der Junge war ohnehin zu aufgewühlt, um auf irgendetwas zu achten.
»Höre, Jankel«, sagte der Rabbi leise, in einem drängenden Ton. »Höre, Jankel, du musst für mich über die Brücke gehen, hinüber zur Kleinseite, und meinem alten Freund Doktor Balthasar eine Nachricht überbringen. Es ist wichtig, es geht um Leben und Tod. Willst du das für mich und die Prager Juden tun? Verstehst du, in einer Nacht wie dieser kann ich weder Schimon noch meinen Schwiegersohn schicken, sie würden sofort Verdacht erregen, weil man ihnen wegen ihrer langen Bärte und der Schläfenlocken schon von weitem ansieht, dass sie Angehörige unseres Volkes sind. Ich kann nur dich darum bitten, du bist mein Neffe, ich vertraue dir.«
»Natürlich will ich gehen, aber wie soll ich Doktor Balthasar finden?«, sagte Jankel hilflos. »Ich war doch noch nie im christlichen Teil der Stadt, ich bin nur ein einziges Mal über die Brücke gegangen, an jenem Abend, als ich nach Prag gekommen bin.«
Der Rabbi stützte den Kopf auf die Hände. »Ich werde dir den Weg erklären«, sagte er, doch plötzlich fiel ihm etwas ein. »Nimm Schmulik mit«, sagte er, »den Sohn von Jentes Schwester. Er ist doch dein Freund, nicht wahr, und er kennt sich in der Stadt aus wie kein Zweiter, er wird das Haus finden. Ruf ihn herein, damit ich ihn bitten kann, dich zu begleiten.«
Jankel holte Schmulik, und der Rabbi erklärte den beiden Jungen, was er von ihnen wollte. Sie sollten Doktor Balthasar bitten, noch an diesem Abend zu ihm zu kommen, in die Altneuschul, weil er dringend mit ihm sprechen müsse. Und er beschrieb ihnen, wo der Doktor wohnte. »Nach dem Brückentor kommt ein Platz, den müsst ihr überqueren und in gerader Richtung weitergehen. Dann biegt ihr in die dritte Gasse nach rechts ab und dort findet ihr linker Hand das Haus. Es hat Fenstersimse aus behauenem Sandstein, auch das Portal ist kunstvoll behauen, und darüber, auf einer Steintafel, seht ihr ein Relief mit einem Engel, der ein Schwert in der Hand hält. Wenn ihr das alles beachtet, könnt ihr es nicht verfehlen.«
»Ich glaube, ich kenne das Haus«, sagte Schmulik. »Ich möchte nur schnell meiner Mutter Bescheid sagen, damit sie sich nicht unnötig um mich sorgt.«
Der Hohe Rabbi schüttelte den Kopf. »Es ist schon dunkel«, sagte er. »Ich will Schimon zu deiner Mutter schicken, damit er es ihr erklärt. Wartet nicht, macht euch gleich auf den Weg. Und geht hintenherum, um dem Torwächter auszuweichen.«
Schmulik nickte.
Der Rabbi begleitete die beiden Jungen hinauf auf die Gasse. Vor der Synagoge blieben sie stehen. »Passt gut auf euch auf«, sagte er. »In einer Nacht wie dieser kann man nicht vorsichtig genug sein.« Dann legte er ihnen die Hände auf den Kopf und segnete sie. » Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter. Behüte ihre Schritte und geleite sie mit deinem Frieden. Lass sie lebendig, froh und unversehrt ihr Ziel erreichen und lebendig, froh und unversehrt zurückkehren. Der Herr behüte euren Ausgang und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit .« Seine Hände zitterten.
Inzwischen war es wirklich dunkel geworden, doch der halbe Mond leuchtete noch so hell, dass sie mühelos den Weg fanden. Sie konnten sogar weiter unten, vor dem Haus des Schusters, die hohe Gestalt Josefs erkennen, der dort, die Mistgabel in der Hand, Wache hielt, wie es der
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