Golem stiller Bruder
aus seinem Griff zu befreien, aber Josef ließ nicht locker, es sah aus, als baumelten sie an seinen Händen. Er schien zu überlegen, was er mit ihnen tun könnte, und schlug sie dann mit den Köpfen so heftig gegeneinander, dass die beiden Jungen meinten, den Zusammenprall bis in den Torbogen zu hören. Schmulik keuchte vor Aufregung, Jankel packte die Hand des Freundes und drückte sie.
Den Angreifern war das Grölen vergangen, kein Ton kam mehr aus ihren offenen Mündern, sie standen wie versteinert da und starrten ihren unerwarteten Gegner an, wie Mäuse eine Schlange anstarren. Auf der Straße war es ganz still geworden, sogar die Häuser schienen die Luft anzuhalten und zu warten, was nun passieren würde. Die Augen der Angreifer wurden größer, fielen ihnen fast aus den Gesichtern. Zögernd, einen Schritt nach dem anderen, wichen sie zu rück, ohne dabei ihren Widersacher aus den Augen zu lassen. Erst als sie sich weit genug von ihm entfernt wähnten, drehten sie sich um und rannten Richtung Agnes-Kloster davon, ohne sich um ihren Anführer zu kümmern, der sich gerade mühsam hochrappelte, Josef einen scheelen Blick zuwarf und seinen Spießgesellen hinterherhinkte.
Josef bückte sich, hob die Mistgabel auf, die noch auf der Straße lag, drehte sich um, ging langsam und ungerührt den Weg zurück, den er gekommen war, und verschwand in der Gasse zur Altneuschul.
Ein paar Minuten lang blieb es still, dann kamen Männer aus den Häusern gelaufen und rannten zu dem alten Juden hinüber, der noch immer reglos und mit verrenkten Gliedern auf dem Boden lag. Sie stimmten das »Höre, Israel« an, feierlich und ergreifend stiegen ihre Stimmen zum Himmel, während sie den Alten hochhoben und ihn die Straße hinuntertrugen. Sie verschwanden in einem der Häuser, aus dem bald das laute Weinen und Klagen der Frauen drang.
»Er ist tot«, sagte Schmulik. »Der arme alte Aaron, er hat nie jemandem ein Leid getan.«
I ch war wie betäubt. Ich sah noch immer den Mann vor mir, wie er die Keule hob und sie auf den Kopf des alten Juden fallen ließ, ich sah noch immer, wie der Alte zusammenbrach und mit verrenkten Gliedern liegen blieb. Unaufhörlich fiel die Keule, unaufhörlich brach der alte Mann zusammen, wieder und wieder, als wäre das alles hundertmal, ja tausendmal geschehen, als würde es weiter und weiter geschehen und nie ein Ende finden.
Aber vielleicht war das ja auch so. Schließlich hatte ich oft genug von judenfeindlichen Verfolgungen gehört, von Pogromen, von Gräueltaten. Doch jetzt, hier, hatte ich es mit eigenen Augen gesehen und wusste, dass mich das Bild nie mehr loslassen würde.
In Gedanken betete ich das Totengebet, den Kaddisch, für den alten Mann, und zugleich betete ich für meine tote Mutter und für alle erschlagenen Juden auf der ganzen Welt, für jene, die schon erschlagen worden waren, und auch für alle, die noch erschlagen werden würden.
K omm«, sagte Schmulik leise und legte dem Freund den Arm um die Schulter. »Komm mit zur Altneuschul, dort werden sie sich jetzt versammeln.« Als Jankel nicht antwortete, sagte er noch einmal »Komm« und führte ihn die Straße hinauf, so fürsorglich, wie ein Vater sein Kind führt.
Jankel ließ es geschehen.
5. Kapitel
Der Engel mit dem Schwert
D er Zorn Gottes war über die Welt gekommen, Schatten stiegen aus den Höfen, und über das Dach der Altneuschul hatte sich eine Wolke gesenkt, sodass es aussah, als habe sich die Synagoge das Haupt mit einem himmlischen Tallit verhüllt. Auf der Straße war es still geworden, nur das Gurren von Tauben war zu hören und irgendwo heulte ein Hund.
Jankel und Schmulik kamen näher und sahen, dass neben dem Eingang die Mistgabel lehnte. Sie stiegen die Stufen hinunter in den Vorraum, der von Kerzen erhellt war. An die zwanzig Juden hatten sich hier versammelt, meist ältere Männer, und der Hohe Rabbi Löw sagte gerade zu Josef: »Gehe zum Haus des Schusters, da, wo die Judenstadt anfängt, und halte dort Wache, denn es ist möglich, dass die Mörder Verstärkung holen und zurückkommen. Hast du mich verstanden?«
Josef nickte, seine schweren Schritte waren noch zu hören, als er schon oben auf der Straße war. Der Rabbi strich Jankel über den Kopf, dann drehte er sich zu den Männern um, sie fingen an zu beten.
E s war, glaube ich, das erste Mal, dass mein Onkel mich berührt hatte, und ich fühlte mich seltsam getröstet, obwohl ich so schwach war, dass ich mich an die Wand lehnen musste. Die
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