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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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stoben so schnell davon, dass ihre Mantelschöße im Wind flatterten, und sogar die Katzen ließen die Abfälle im Stich und verschwanden in Torbögen und Schuppen. Türen wurden zugeschlagen und verrammelt und Fensterläden geschlossen. Die Straße leerte sich, und bald war nichts mehr zu hören, nur noch das Geschrei der Männer, deren Gestalten nun unten auf der Straße auftauchten.
    Schmulik packte den wie gelähmt dastehenden Jankel an der Hand und zerrte ihn in einen Torbogen, drückte ihn hinter einen Mauervorsprung und stellte sich, die Arme schützend ausgebreitet, vor ihn.
    Die Angreifer kamen von der Moldau herauf rasch näher, ihr grölendes Geschrei wurde lauter und lauter und mischte sich mit dem Krachen berstenden Holzes und dem Klirren von Glas, und immer deutlicher wurden die Rufe: »Tod! Tod allen Juden!«
    Jankel zitterte vor Angst, trotzdem schob er seinen Kopf an Schmuliks Schulter vorbei und spähte vorsichtig um den Mauerrand. Jetzt konnte er sie sehen.
    Es waren etwa ein Dutzend Männer, kräftige Kerle, vielleicht Flößer oder Holzfäller, zwei trugen die Kleidung von Zimmerleuten. Einer, ein besonders wild aussehender Mann mit dichten, schwarzen, zotteligen Haaren und einem schwarzen Schnurrbart, führte die Horde an und schwenkte eine Mistgabel, als wäre sie eine Fahne. Seine Kumpane waren mit Stöcken und Keulen bewaffnet, mit denen sie rechts und links gegen Türen und Fenster schlugen und alles zertrümmerten, was sie erwischen konnten: Tische und Verkaufsstände, die nicht rechtzeitig fortgeschafft worden waren, ein Gestell, an dem getrocknete Fische hingen, einen Holzkarren, beladen mit alten Schuhen und Kleidungsstücken, einen Leiterwagen, auf dem halbleere Kisten mit Gemüse standen.
    Jankel sah auch einen alten Juden auf Krücken, der verzweifelt versuchte, davonzuhumpeln.
    Doch einer der Kerle, ein Mann in abgerissener Kleidung und mit einem groben, bösartigen Gesicht, holte ihn ein, hob seine Keule und ließ sie auf den ungeschützten Kopf des Alten niedersausen. Jankel schlug die Hand vor den Mund, um einen Schreckensschrei zu ersticken, und Schmulik straffte die Schultern und ballte die Hände zu Fäusten. Der alte Jude brach zusammen und blieb mit verrenkten Gliedern reglos liegen, aus der Wunde an seinem Kopf floss Blut, rotes Blut, und versickerte langsam im Straßenstaub. Die Angreifer grölten und schlugen sich auf die Schenkel.
    Da bog eine hochgewachsene Gestalt um die Ecke der Gasse, in der die Altneuschul lag. Im abendlichen Zwielicht konnte man das Gesicht des Mannes nicht erkennen, nur seine hünenhafte Gestalt. Ganz allein kam er die Straße herab und näherte sich den Angreifern.
    »Es ist Josef«, flüsterte Jankel und Schmulik sagte erleichtert: »Rabbi Löw hat ihn geschickt, dem Ewigen sei Dank!«
    »Aber er ist allein!«, rief Jankel mit unterdrückter Stimme. »Was kann denn ein einzelner Mann, und sei er auch noch so groß und stark, gegen so viele kräftige Kerle ausrichten?«
    Genau wie an jenem Abend, an dem Jankel ihn zum ersten Mal gesehen hatte, bewegte sich Josef langsam vorwärts, als wäre er sehr müde. Sein Kopf war starr geradeaus gerichtet, er schaute nicht nach rechts und nicht nach links. Schritt um Schritt ging er auf die Angreifer zu, und als er an dem Torbogen vorbeikam, in dem sich die beiden Jungen versteckt hatten, konnten sie sein Gesicht sehen. Es zeigte keinerlei Regung, weder Angst noch Wut, es war so ausdruckslos, als wäre es aus Stein gehauen.
    Einer der Männer hatte ihn nun entdeckt und machte seine Kumpane auf ihn aufmerksam. Laut johlend, die Stöcke und Keulen in den hochgereckten Händen, stürzten sie sich auf ihn. Josef schien auch jetzt nicht zu erschrecken, Jankel und Schmulik konnten zwar sein Gesicht nicht sehen, nur noch seinen breiten Rücken, aber sie beobachteten, wie er unbeweglich stehen blieb und auch nicht wankte, als die Angreifer ihre Stöcke schwangen und auf ihn einschlugen. Die Hiebe machten ihm offenbar nichts aus. Er hob nur die Hände und schob die Männer von sich, wie man lästige Fliegen oder Ameisen von sich wischt. Dann schnappte er einen der Kerle, es war der Schwarze mit der Mistgabel, hob ihn am Kragen hoch, als wäre er eine Spielzeugfigur, und warf ihn seinen zurückweichenden Freunden vor die Füße.
    Und nun hatte er schon die beiden nächsten im Genick gepackt, wie man Tiere im Genick packt, und hielt sie, einen in jeder Hand, hoch. Die Männer zappelten und versuchten verzweifelt, sich

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