Golem stiller Bruder
verneigte sich. »Da sind zwei junge Herren, sie sagen, der Hohe Rabbi Löw schickt sie mit einer Botschaft.«
Dann winkte der Diener den beiden Jungen, und sie betraten einen Raum, der dem Studierzimmer des Rabbis sehr ähnlich sah, nur statt des gewöhnlichen Tischs wie beim Rabbi stand hier ein dunkler, geschnitzter Schreibtisch, aber an den Wänden befanden sich ebenfalls Borde voller Bücher und auch der Schreibtisch war mit Büchern beladen. Hinter dem Tisch saß ein schlanker, vornehm aussehender Mann, der trotz seiner langen, weißen Haare jünger wirkte als der Hohe Rabbi, vielleicht deshalb, weil seine Wangen rasiert waren, oder es lag an seiner farbigen Kleidung. Er trug ein gelbes, gefälteltes Hemd, darüber eine Jacke aus moosgrünem Samt. Er legte die Feder, mit der er offenbar gerade etwas in ein Buch geschrieben hatte, aus der Hand und blickte die Jungen fragend an.
»Friede sei mit Euch«, sagte Schmulik und wiederholte die Worte, die der Hohe Rabbi gesagt hatte.
Der Mann erhob sich sofort, und sie sahen, dass auch seine Beinkleider aus grünem Samt gefertigt waren. »Gut«, sagte er, »dann wollen wir uns unverzüglich auf den Weg machen. Pavel, bring meinen Umhang und zünde eine Laterne an.«
Der Diener tat, wie ihm aufgetragen war, der Mann hüllte sich in einen warmen Umhang, der Diener löschte die Kerzen im Studierzimmer und in der Diele und ging mit der Laterne voraus, um ihnen zu leuchten.
Unterwegs fragte Doktor Balthasar, ob in der Judenstadt etwas Besonderes vorgefallen sei, und Schmulik, der zu Jankels Zufriedenheit die Rolle des Sprechers übernommen hatte, berichtete, dass eine Horde Männer eingedrungen sei und einen alten Mann erschlagen habe. Jankel wunderte sich, dass er nichts von Josef erzählte, er erwähnte noch nicht einmal seinen Namen. Als sie endlich vor der Altneuschul ankamen, befahl der Mann seinem Diener, vor dem Gebäude zu warten, bis er herauskäme, und so lange solle er die Laterne löschen, um nicht unnötig aufzufallen. Der Diener tat es und verschwand im Schatten einer Mauer.
Rabbi Löw erwartete sie im Vorraum. Erleichtert umarmte er seinen Freund und bedankte sich bei den Jungen. Sie sollten nach Hause gehen, sagte er und zog seinen Gast in den Innenraum der Synagoge. Als er die Tür öffnete, drang Licht heraus, er musste inzwischen weitere Kerzen angezündet haben.
Jankel drehte sich um und stieg die Stufen zum Ausgang hinauf, doch Schmulik packte ihn am Ärmel und hielt ihn zurück. Er öffnete die Tür und schloss sie, ohne hinauszugehen, mit einem lauten Klappen. Dann legte er den Finger auf die Lippen und deutete auf eine Tür links neben dem Eingang zum Synagogenraum. Jankel zögerte, aber seine Neugier siegte, er schlich hinter Schmulik her, der die Tür zu einem dunklen Raum öffnete. »Das Frauenschiff«, flüsterte er so leise, dass Jankel ihn kaum verstand. Sie tasteten sich an einer Wand entlang, bis Schmulik stehen blieb. Er nahm Jankels Hand und führte sie zu einer schmalen, länglichen Öffnung, die etwa in Augenhöhe waagrecht in die Wand ein gelassen war, ein Sehschlitz, durch den die Frauen den Gottes dienst beobachten konnten.
Die beiden Jungen spähten hindurch, doch auf der anderen Seite war außer einem schwachen Lichtschein nichts zu erkennen, deshalb schlichen sie auf Zehenspitzen zur nächsten Öffnung. Hier hatten sie mehr Glück, sie hatten den Hohen Rabbi Löw und seinen Gast genau im Blickfeld. Die beiden Männer saßen einander gegenüber und auf einem Stuhl neben ihnen standen einige Kerzen. Durch den Schlitz konnten sie auch deutlich hören, was die beiden sprachen. »Ihr müsst uns helfen«, sagte Rabbi Löw gerade.
Doktor Balthasar strich sich die langen Haare aus der Stirn, seine Stimme klang klar und gelassen. »Sagt mir, was Ihr auf dem Herzen habt.«
Der Hohe Rabbi Löw hob die Hände zu einer ausladenden Bewegung, die den ganzen Raum umfasste, vielleicht sogar die ganze Welt. »Ich habe Angst, mein Freund, große Angst. Die Wände hier, die Ihr jetzt nicht sehen könnt, erzählen eine schlimme Geschichte. Damals, im Jahr 1389 nach Eurer Zeitrechnung, kam es zu bösen Ausschreitungen gegen die Prager Juden, dreitausend wurden ermordet. Viele Männer, Frauen und Kinder hatten sich in diese Synagoge geflüchtet, doch die Feinde, ihre Namen seien ausgelöscht, drangen ein und metzelten sie grausam nieder. Ihr Blut spritzte an die Wände, die deshalb seit bald zweihundert Jahren nicht mehr gestrichen wurden, um das
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