Golem stiller Bruder
riechen konnte, der Gestank nach modrigen Pflanzen und fauligem Fisch war nachts durchdringender als tagsüber.
»Warum will sich Rabbi Löw eigentlich mit einem Chris ten treffen?«, flüsterte Jankel. »Und woher kennt er ihn überhaupt?«
»Woher soll ich das wissen, das müsstest du ihn schon selbst fragen«, antwortete Schmulik. Doch dann, als sie die dunkle Gasse hinter sich hatten und der Fluss vor ihnen lag, fuhr er freundlicher fort: »Prag ist das Zentrum der gebildeten Welt, musst du wissen, hier treffen sich gelehrte Männer oft, auch wenn die einen Christen und die anderen Juden sind. Viele der Ungläubigen wollen die heilige Sprache lernen, um die Bibel zu studieren, da ist es doch am einfachsten, zu einem gelehrten Rabbi zu gehen. Manche wollen auch Unterricht in der Kabbala*. Die geheimen Wissenschaften locken viele Gelehrte nach Prag. Ich habe gehört, dass es hier zahlreiche Magier gibt, Astronomen, Mathematiker. Die klügsten und gebildetsten Männer der Welt kommen hierher, sagt man. Das liegt natürlich auch an unserem Kaiser Rudolf, er interessiert sich sehr für die geheimen Wissenschaften und holt immer wieder Männer an seinen Hof, die man Alchemisten nennt, weil er hofft, sie könnten Gold machen.« Er lachte ein kurzes, spöttisches Lachen. »Aber bis jetzt ist das noch keinem gelungen, im Frühjahr, so sagen die Leute, habe er den Letzten weggejagt, einen Italiener.«
Und dann fragte er, ob Jankel schon einmal bei einem Christen im Haus gewesen sei. Jankel verneinte das, und Schmulik sagte: »Ich auch nicht, ich kenne nur die Mühle und den christlichen Müller. Ich bin gespannt, wie es bei Christen aussieht.«
Inzwischen hatten sie die steinerne Brücke erreicht. Die Stimmen krakeelender Betrunkener ließen sie an die Mauer treten und hinunterschauen. Der Mond spiegelte sich im Wasser und zersprang in leuchtende Flecken. Unten am Ufer, da, wo sich die jungen, noch unverheirateten Männer gern trafen, sahen sie ein Feuer, um das sich dunkle Gestalten bewegten und laut und grölend sangen, wie Männer im Rausch singen. Was sie sangen, war nicht zu verstehen, nur die Worte »Jud« und »Blut« waren immer wieder deutlich herauszuhören.
Sie erschauerten und Schmulik legte seine Hand unter Jankels Ellenbogen und schob ihn weiter. Hier über dem Fluss war es auf einmal viel kühler, ein scharfer Wind wehte ihnen entgegen und drang ihnen bis auf die Knochen, und sie waren froh, als sie die andere Seite erreicht hatten, denn im Schutz der Häuser ließ die Kälte nach und der Wind wehte weniger heftig.
Als sie nach rechts in die angegebene Straße abbogen, sagte Jankel: »Du hast mir noch nicht die zweite Geschichte von der Altneuschul erzählt.«
»Ein andermal«, sagte Schmulik und blieb vor einem Haus stehen. »Wir sind schon da, hier ist es.« Im Mondlicht konnten sie das Relief über dem behauenen Türrahmen genau erkennen, der Engel hielt das Schwert, als wolle er die Bewohner vor ungebetenen Eindringlingen schützen.
Zaghaft ließen sie den eisernen Türklopfer auf das Holz fallen, und als sich im Haus nichts rührte, klopften sie noch einmal, diesmal lauter. Schritte waren zu hören, ein Diener in einer himmelblauen Livree mit Goldknöpfen öffnete ihnen die Tür, eine Kerze in der Hand. »Wir bringen eine Botschaft vom Hohen Rabbi Löw für Doktor Balthasar«, sagte Schmulik mit einer Stimme, die heller und weniger fest klang als sonst.
Der Diener hob die Kerze, um ihre Gesichter besser zu sehen. »Sagt die Botschaft, ich werde sie dem Herrn Doktor ausrichten.«
Schmulik schüttelte den Kopf und Jankel sagte schnell: »Wir haben den Auftrag, mit ihm selbst zu sprechen.«
Der Diener zögerte, dann führte er sie in eine Diele, die von zwei Kandelabern erleuchtet wurde. Die Jungen schauten sich neugierig um. Solche Pracht hatten sie noch nie gesehen. Auf dem Tisch lag eine schwere Brokatdecke und die Stühle waren mit Schnitzwerk verziert. Außerdem gab es noch ein Sofa und zwei Schränke mit Glastüren. An den Wänden hingen Bilder, auf denen Landschaften oder irgendwelche Gegenstände zu sehen waren. Auf einem Bild erkannte Jankel im Vorbeigehen einen toten Fasan, dahinter Äpfel, eine Flasche, ein Glas und den Kopf eines alten Mannes, von dem man aber nur die unter tiefen Lidern versteckten Augen und den Mund mit einer glänzenden Unterlippe sah.
Der Diener klopfte an eine Tür, und eine kräftige Stimme rief: »Was ist los? Komm rein.«
Der Diener öffnete die Tür und
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