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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Riten Christenblut brauchen, ist einfach nicht aus der Welt zu schaffen, da können wir ihnen noch so oft erklären, dass es Juden aus religiösen Gründen verboten ist, Blut zu essen, das Blut von Tieren und erst recht das Blut von Menschen.‹ Der Rabbi hörte sich alles an, nickte und versprach Hilfe.«
    Wieder schwieg Schmulik, als suche er nach den richtigen Worten, dann fuhr er fort: »In der Zeit danach habe ich den Hohen Rabbi beobachtet, wann immer es mir möglich war, und ich habe meine Tante Jente sehr oft im Haus des Rabbis besucht und sie unauffällig ausgehorcht, deshalb weiß ich, wie es weiterging.
    Der Hohe Rabbi hat in der Woche darauf drei Tage lang gefastet und sehr viel gebetet, bis in die Nacht hinein, hat Jente gesagt, vermutlich hat er den Ewigen um einen Traum angefleht, der ihm Erleuchtung bringen sollte. Ob er diesen Traum wirklich geträumt hat oder ob er die Lösung in den geheimen kabbalistischen Schriften gefunden hat, weiß ich natürlich nicht, nur dass er sich am siebten Tag weiß anzog, wie am Jom Kippur, und Jente losschickte, um seinen Schwiegersohn Jizchak und seinen Schüler Schimon in die Altneuschul zu bitten.
    Ich war wieder einmal zufällig bei Jente und habe es mitbekommen, deshalb lief ich zur Schul und versteckte mich im Frauenschiff. Glaub mir, Jankel, später habe ich das bereut, aber an jenem Abend war ich einfach zu neugierig, ich habe mich verhalten wie ein dummer Junge.
    Der Hohe Rabbi kam herein, mit einem Bündel in der Hand, das er auf einen Stuhl legte, dann wartete er, bis die beiden anderen erschienen. ›Ich habe euch herbestellt‹, sagte er, ›weil die Zeit gekommen ist, auf die ihr euch durch Fas ten und Beten vorbereitet habt, wie ich es euch befahl. Geht jetzt zurück, legt weiße Kleidung an und kommt zum Ufer der Moldau, ich werde dort auf euch warten. Und beeilt euch, wir haben nicht viel Zeit.‹
    Jizchak und Schimon verließen die Synagoge, der Hohe Rabbi verbrachte noch einige Zeit im Gebet, und ich muss dir sagen, Jankel, so leidenschaftlich habe ich noch nie jemanden beten gesehen, es sah aus, als kämpfe er mit dem Ewigen, so wie von unserem Stammvater Jakob gesagt wird, er kämpfte im Mannesalter mit Gott . Dann nahm er sein Bündel und ging ebenfalls.
    Ich folgte ihm vorsichtig durch die Judenstadt hinunter zur Moldau, was gar nicht so einfach war, aber ich habe es geschafft. Am Ufer warteten bereits Jizchak und Schimon, nun ebenfalls weiß gekleidet. Zu dritt gingen sie den Fluss entlang, sie sprachen miteinander, aber zu leise, als dass ich sie hätte verstehen können.
    Sie gingen lange, aber schließlich hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, und für mich wurde es einfacher; im Schutz von Büschen und Gestrüpp konnte ich ihnen viel leichter folgen. Sie gingen ziemlich lange, bis sie zu einer Stelle kamen, wo der Fluss eine kleine Bucht bildet, dort blieben sie stehen. Den Anfang ihres Gesprächs habe ich nicht mitbekommen, ich musste mich erst näher schleichen, bis ich mich hinter einem dichten Gebüsch verbergen konnte, von wo aus ich alles genau sehen und vor allem auch hören konnte.
    Der Rabbi sagte: ›Dazu brauchen wir die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft. Ich verspüre in mir die Macht der Luft, denn der Wind und der Geist sind einander gleich. Du, Jizchak, hast ein feuriges Temperament, du wirst das Feuer vertreten, und du, Schimon, bist still und tief und stetig wie das Wasser. Das vierte Element, die Erde, finden wir hier am Ufer des Flusses.‹«
    Schmulik drehte sich zu Jankel um, sein Gesicht war blass und ernst. »Ich weiß nicht genau, wie ich es dir erzählen soll, bisher war es mein Geheimnis, kein Wort ist über meine Lippen gekommen. Aber ich muss dir gestehen, dass es mir schwer auf der Seele liegt und es mich bestimmt erleichtern wird, das Geheimnis mit dir zu teilen. Deshalb will ich mich auch bemühen, dir alles so genau zu berichten, als wärest du dabei gewesen.
    Also hör zu: Es war weit nach Mitternacht, die Zeit, wo es oft so dunkel ist wie vor der Erschaffung der Welt, aber der Mond war voll und sie zündeten auch noch eine Fackel an, deshalb konnte ich genau erkennen, was sie taten. Sie sprachen gemeinsam einen Psalm, dann gingen sie zum Ufer und gruben Lehm aus dem Boden, frischen, unberührten Lehm, den der Fluss aus den Bergen angeschwemmt hatte. Aus diesem Lehm kneteten sie die Gestalt eines Mannes, erst grob und in Umrissen, aber schon bald deutlich erkennbar.
    Du kannst dir vorstellen,

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