Golem stiller Bruder
zuständig.«
Neben ihnen raschelte etwas und Jankel zog erschrocken Arme und Beine näher zum Körper. Schmulik legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Hab keine Angst«, sagte er, »hier sind wir sicher.«
»Erzähl schon«, drängte Jankel. »Beeil dich! Je eher du anfängst, umso eher können wir wieder hier weg. Also, was ist ein Golem?«
»Geduld, das wirst du gleich erfahren«, sagte Schmulik. »Hör zu: Man erzählt sich, dass der Ewige vier jüdischen Gelehrten erlaubte, den Garten Eden zu betreten, den sonst kein Sterblicher betreten durfte. Der erste Gelehrte, der die Geheimnisse erblickte, starb auf der Stelle und der zweite verlor den Verstand. Der dritte ließ vom Glauben seiner Väter ab, denn er war nicht stark genug, um das zu verstehen, was er gesehen hatte. Nur der vierte der Gelehrten, der große Rabbi Akiba, ging durch den Garten Eden, ohne Schaden zu nehmen, und kehrte mit göttlicher Weisheit und dem Wissen um die Geheimnisse der Welt zurück.«
Jankel unterbrach ihn ungeduldig. »Was hat denn das mit Josef zu tun? Und was ist ein Golem?«
»Warte doch, es kommt gleich. Auch vom Hohen Rabbi Löw wird gesagt, er sei durch den Garten Eden gegangen und wie Rabbi Akiba mit dem Wissen um die Geheimnisse der Welt zurückgekehrt. Deshalb wird er von den Menschen in der Judenstadt so verehrt, denn sie erwarten von ihm, dass er ihnen, wenn sie in Bedrängnis geraten, Hilfe und Rettung bringt.«
»Ich fürchte mich vor ihm«, sagte Jankel bedrückt. »Ich weiß, dass ich ihn lieben sollte, schließlich ist er mein Onkel, aber…« Er beendete den Satz nicht, er wusste nicht, wie er seine zwiespältigen Gefühle ausdrücken sollte.
»Furcht und Ehrfurcht sind manchmal schwer zu unterscheiden«, sagte Schmulik. »Ehrlich gesagt, mir ist er auch unheimlich, aber Jente mag ihn sehr, und Jente ist eine kluge und verständige Frau, deren Urteil man vertrauen kann. Nun höre, wie die Geschichte weitergeht. Vor einiger Zeit änderte sich die Stimmung in Prag, das Geschrei unserer Feinde wurde wieder lauter und unter den Juden breitete sich Angst aus.«
»Warum eigentlich?«, fragte Jankel. »Warum hassen sie uns so? Sind wir nicht Menschen wie sie auch? Wir wollen doch nur in Frieden leben.«
»Das ist das bittere Los der Zerstreuung, es ist unser täglich Brot«, sagte Schmulik. »Sie sind sehr viele und wir sind sehr wenige. Überall, wo wir leben, sind wir viel weniger als die anderen. Ich verstehe auch nicht ganz, warum sie uns hassen, und du kannst mir glauben, ich habe schon oft darüber nachgedacht. Sie behaupten, wir hätten ihren Gott getötet, diesen Christus, der eigentlich ein Jude war, so wie du und ich. Sie behaupten, er war der Messias, während wir glauben, dass der Messias noch kommt, denn es steht geschrieben: Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Kriege zu führen. Ist es etwa so auf der Welt? Nein, so ist es nicht. Aber das Schlimmste ist: Die Christen wollen, dass alle Menschen dasselbe glauben wie sie, und überall werden Juden umgebracht, weil sie sich weigern, Christen zu werden. Hast du nicht von Spanien und Portugal gehört? Dort nennen sie es Inquisition. Aber auch bei uns in Prag gibt es genug Mönche und Priester, die gegen Juden hetzen, vor allem dieser Jesuitenpater Thaddäus. Im Frühjahr haben die Hetzreden und die Verleumdungen zugenommen. Die Ältesten waren beunruhigt und trafen sich in der Altneuschul, um zu beraten, was zu tun sei. Außer Reb Meisl, dem Primas, waren noch drei Gemeindevorsteher und der Hohe Rabbi Löw dabei. Vor der geheimen Beratung haben sie sorgfältig die Tür verschlossen, um nicht überrascht zu werden.«
Schmulik schwieg, und als Jankel ihn anblickte, sah er ein spitzbübisches Grinsen auf dem Gesicht des Freundes. »Ich weiß das deshalb so genau«, erklärte er, »weil ich mich an jenem Abend, als wir Doktor Balthasar und den Hohen Rabbi belauschten, nicht zum ersten Mal im Frauenschiff versteckt habe. Jedenfalls habe ich damals gehört, wie sich der Primas und die Gemeindevorsteher mit dem Hohen Rabbi berieten. ›Jede Nacht kann uns jemand heimlich einen Toten in die Judenstadt bringen‹, sagte einer, ›nur um behaupten zu können, wir hätten ihn ermordet.‹ Und ein anderer sagte: ›Das Gerücht, dass wir zu unseren
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