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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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eingehaucht‹, sagte der Hohe Rabbi zu ihm, ›und deine Aufgabe wird es sein, die Juden vor ihren Feinden zu schützen. Du sollst Josef heißen, damit du uns errettest, wie einst Josef seine Brüder errettete. Du wirst in meinem Haus leben und alles tun, was ich dir befehle, du wirst ins Wasser springen, wenn ich es sage, und du wirst durch Feuer laufen, wenn ich das will. Hast du mich verstanden?‹
    Josef nickte langsam, zum Zeichen, dass er ihn verstanden hatte.
    ›Gut‹, sagte der Hohe Rabbi, ›dann werden wir jetzt nach Hause zurückkehren. Es wird höchste Zeit, der Morgen graut schon.‹
    Zu dritt waren sie gekommen, zu viert verließen sie die Bucht. Der vierte, Josef, der Golem, war von ebenso hoher Gestalt wie der Hohe Rabbi Löw, die beiden anderen waren deutlich kleiner. Ich folgte ihnen in einem so großen Abstand, dass ich nicht hören konnte, worüber sie sich miteinander unterhielten. Als wir die Judenstadt erreichten, wurde es bereits hell.
    Meine Mutter war außer sich, weil ich die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen war, und ich musste ihr irgendeine Ausrede auftischen. Ich sagte, ich sei in der Synagoge gewesen und eingeschlafen und erst am Morgen wieder aufgewacht, und sie glaubte mir sogar, aber ich musste an diesem Tag zu Mendel gehen und arbeiten, ohne dass ich überhaupt geschlafen hatte.
    Was im Haus des Hohen Rabbis geschah, weiß ich von Jente. Sie war schon dabei, Feuer anzumachen, als der Rabbi mit diesem seltsamen Mann das Haus betrat. Der Rabbi sagte zu ihr, er habe den stummen Fremden in der Gasse gefunden und mitgenommen, er solle oben in der Bodenkammer schlafen und tagsüber als Synagogendiener helfen. Im Haus halt dürften sie ihn aber nicht beschäftigen, denn es steht geschrieben: Du sollst ein Gefäß, das heiligen Handlungen dient, nicht zu alltäglichen Diensten gebrauchen .«
    Schmulik schwieg. Auch Jankel wagte nicht zu sprechen. Zu sonderbar und zu unheimlich war das, was er gehört hatte. »Um die Wahrheit zu sagen, ich wusste damals auch noch nichts von einem Golem«, fuhr Schmulik fort. »Ich habe erst später erfahren, dass es schon früher Rabbiner gab, besonders gelehrte und besonders fromme Männer, die einen Golem zum Schutz der Juden erschaffen hatten, zum Beispiel erzählt man es sich vom Ba’al Schem von Chelm.«
    »Warum hat der Rabbi das gemacht?«, fragte Jankel. »Warum brauchen wir einen Golem?«
    Schmulik antwortete: »Das ist doch leicht zu verstehen. Ein Golem fühlt keinen Schmerz, ein Golem blutet nicht, einen Golem kann man weder verletzen noch töten. Erinnere dich doch, wie ein Dutzend Männer ihn angegriffen haben, ohne dass er es überhaupt zu merken schien. Ein Golem ist unbesiegbar.«
    Jankel nickte. Dann fragte er: »Wissen die Leute in der Judenstadt, dass Josef ein Golem ist?«
    Schmulik zuckte mit den Schultern. »Ich nehme an, dass etliche es wissen, aber sie lassen sich nichts anmerken. Alle tun so, als sei er ein stummer Mann und arm an Geist, jemand, mit dem man höchstens Mitleid haben muss, um den man sich aber nicht zu kümmern braucht.« Er zögerte. »Ich wüsste auch gern, ob sie es wissen, aber ich habe nicht gewagt, jemanden zu fragen, auch Jente nicht, aber ich glaube, sie weiß Bescheid.«
    Jankel ließ den Blick über die Grabsteine schweifen und sagte nachdenklich: »Einmal hat er nun schon geholfen, einmal hat er getan, wozu er erschaffen wurde.«
    Schmulik nickte. »Ja, einmal hat er geholfen. Hoffen wir, dass wir seine Hilfe nie mehr benötigen. Komm, wir gehen jetzt nach Hause, es ist schon bald Mitternacht.«
    Jankel sprang auf und blickte sich entsetzt um, doch Schmulik lachte ihn aus. »Du brauchst keine Angst zu haben. Glaub mir, die Toten bleiben in ihren Gräbern, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe hier noch nie einen Geist gesehen. Und auch hier bin ich heute Nacht nicht zum ersten Mal.«
    Jankel wusste nicht, was er denken sollte. Vorsichtig gingen sie an den Grabsteinen vorbei zum Ausgang, und Jankel zog erschrocken den Kopf ein, als etwas über ihn hinwegflatterte, aber es war nur eine Fledermaus.
    »Verstehst du jetzt, warum Josef nachts nur ein Lehmklotz ist und tagsüber lebt?«, sagte Schmulik, als sie um die Friedhofsmauer herumgingen. »Du brauchst dich nicht vor ihm zu fürchten, er ist zu unserer Hilfe erschaffen worden, und er gehorcht dem Hohen Rabbi Löw in allem, was er tut. Und jetzt geh schlafen, es ist wirklich schon spät. Gut, dass Schabbat ist und wir nicht arbeiten müssen. Wollen wir

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