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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Jungen behandelt. Wenn Ihr uns nichts anderes bietet, nehmen wir das als persönliche Kränkung.«
    Jankel hörte den drohenden Unterton in der Stimme des Kaisers und schaute zu seinem Onkel hinüber, der die Schultern hochzog und eine hilflose, entschuldigende Gebärde mit der Hand machte, von der er wohl selbst wusste, dass sie nichts bewirken würde.
    »Rabbi«, fuhr der Kaiser fort, »man sagt, Ihr könntet die Bahnen der Gestirne sichtbar machen, und nicht nur das, einmal, so wurde uns erzählt, habt Ihr vor einer Versammlung von Gelehrten die zwölf Stämme Israels erscheinen lassen. Nun gut, gebt uns einen Beweis Eurer Kunst, zeigt uns einige der historischen Gestalten, von denen Ihr behauptet, sie seien Eure Vorfahren. Gelingt Euch das, dann wollen wir das unwürdige Schauspiel von vorhin vergessen.«
    Eine ganze Weile blieb es still, bis der Kaiser sagte: »Nun, Rabbi, wollt Ihr nicht anfangen?« Der drohende Unterton in seiner Stimme klang in Jankels Ohren wie das Brüllen eines Löwen.
    Der Rabbi zog die Schultern hoch. »Majestät«, sagte er, »ich bitte Euch, mich gnädig zu verschonen. Ich bin ein alter Mann, meine Kräfte haben nachgelassen.«
    »Für ein Mal wird Eure Kraft wohl noch reichen«, sagte der Kaiser.
    Der Rabbi zögerte, doch als er sah, dass sich das Gesicht des Kaisers verfinsterte, sagte er langsam und bedrückt: »In diesem Saal geht es nicht, hier ist es zu hell. Ich brauche Dunkelheit, um eine Erscheinung herbeizurufen. Dazu einen Tisch und eine Kerze.«
    Der Kaiser winkte seine Diener herbei und gab ihnen den Befehl, einen bestimmten Raum nach den Wünschen des Rabbis vorzubereiten. Sie eilten sogleich davon.
    »Es ist nicht so einfach«, sprach der Rabbi weiter. »Die Gesetze der Natur lassen sich nicht leicht außer Kraft setzen und oft genug misslingt der Versuch auch. Ich werde es probieren, aber ich muss eine Bedingung stellen: Niemand, absolut niemand, darf lachen, egal was er zu sehen meint, denn die Geister sind empfindlich und lassen nicht zu, dass man sie verlacht, Lachen könnte furchtbare Folgen haben.«
    »So soll es sein«, sagte der Kaiser, »keiner wird lachen.« Er blickte die Damen und Herren seines Gefolges an, diese nickten zustimmend.
    Der Rabbi saß mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern da, bis ein Diener erschien und meldete, alles sei vorbereitet. Der Kaiser erhob sich, schritt die Stufen hinab und wählte unter den Anwesenden etwa zwei Dutzend Damen und Herren aus, die Zeugen der Veranstaltung werden sollten, dann ging er voraus, wobei zwei Diener ihm die Schleppe seines Umhangs trugen. Die Auserwählten folgten ihm, auch der Hohe Rabbi Löw, Jankel und Josef.
    Sie betraten einen etwas kleineren, abgedunkelten Saal, in dem die Diener bereits alles hergerichtet hatten. An einer Wand hatten sie in der Mitte einen erhöhten Sessel für den Kaiser aufgestellt und zu beiden Seiten, wie in einem Theater, Stühle für die Zuschauer. Der Kaiser nahm Platz und ein Diener drapierte seinen Umhang um seine Beine und Füße herum, erst dann setzten sich auch die anderen. Jankel wählte einen Stuhl seitlich am Rand, von wo aus er sowohl den Tisch mit der brennenden Kerze als auch die Zuschauer an der gegenüberliegenden Seite im Blick hatte, und Josef stellte sich hinter ihn. Als die Diener mit ihren Lampen den Saal verlassen hatten, wurde es dunkel, die Kerze war nun die einzige Lichtquelle. Der Rabbi stand so weit hinter dem Tisch, dass sein Gesicht kaum zu erkennen war, seine schwarze Gestalt wurde von der Dunkelheit fast verschluckt, nur seine weißen Haare und sein Bart waren zu sehen.
    »Wir sind bereit«, sagte der Kaiser. »Rabbi Löw, Ihr könnt beginnen.«
    Nun trat der Rabbi zum Tisch und hob die Hände. Im Saal wurde es still. Sein Gesicht, das jetzt von der Kerze erleuchtet wurde, wirkte seltsam fremd und majestätisch, sein Bart und seine Schläfenlocken glänzten wie gesponnenes Silber. Seine weit offenen Augen waren größer und dunkler als sonst, sein Blick schien den Raum und die Menschen darin in sich einzusaugen.
    Als er anfing zu sprechen, kam seine Stimme wie von weit her, sie klang tief und hohl und hallte nach, als steige sie aus einer tiefen Schlucht herauf und breche sich an den Felswänden. » Die Philister sammelten ihre Heere und lagerten sich bei Ephes-Dammim. Und Saul und die Männer Israels kamen zusammen und lagerten sich im Eichgrund und rüsteten sich zum Kampf gegen die Philister … «
    Seine Stimme wurde leiser, beschwörender,

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