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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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verneigte sich wieder, »an Kraft des Körpers ist ihm keiner gleich, doch sein Geist ist weniger gut entwickelt und der Ewige hat ihm die Gabe des Sprechens versagt.«
    Nun, da es nicht mehr um ihn ging, hob Jankel vorsichtig den Kopf und sah, wie der Kaiser, der Herrscher Böhmens, mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu Josefs grobes Gesicht und seine ungeschlachte Gestalt betrachtete. Schließlich wandte er den Blick ab und befahl dem Diener, Sessel für die Gäste zu bringen, dann forderte er sie mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen.
    Der Rabbi und Jankel nahmen auf den mit Brokat bezogenen Sesseln Platz, Josef blieb hinter dem Rabbi stehen. Jetzt erst fiel Jankel auf, dass es auch hier nach Blumen roch, aber er wagte nicht, sich nach der Quelle des Duftes umzuschauen. Er hielt den Blick gesenkt und betrachtete den Boden, der aus verschiedenfarbigen, zu einem Muster angeordneten Steinen bestand. So regelmäßig und so kunstvoll waren die Ornamente, dass er unwillkürlich die Füße anhob und sie fingerbreit über dem Boden in der Luft hielt. Seine Schuhe, obwohl sauber und mit Fett eingeschmiert, kamen ihm zu schäbig vor, um sie auf ein so kostbares Mosaik zu stellen. Sie passten auch nicht zu den geschwungenen, goldenen Sesselbeinen, die wie Löwenpranken geformt waren, sodass er aus Angst, sie versehentlich anzustoßen, auch nicht wagte, seine Füße hinter ihnen zu verstecken.
    »Wir haben einen Diener, der an Körperkraft alle übertrifft«, sagte der Kaiser auf einmal. »Wir wünschen, dass sich dieser Mann da mit ihm misst. Seid Ihr einverstanden, Rabbi Löw?«
    Jankel erschrak, er fing an zu zittern. Von einer plötzlichen Schwäche gepackt, stellte er seine Füße in den abgetretenen Schuhen auf den Boden, doch das Zittern hörte nicht auf. Er schaute hilfesuchend zu seinem Onkel hinüber, aber auch dieser war blass geworden. Er zog die Schultern hoch und sah auf einmal sehr alt und hilflos aus.
    Mit dieser Wendung hatte der Hohe Rabbi offenbar nicht gerechnet, sie barg eine Gefahr, die sich nicht absehen ließ. Jankel hob den Blick und ließ ihn an Josefs breiter Brust hinaufwandern zu seinem Gesicht, das so gleichgültig war wie immer, als gingen ihn die Worte des Kaisers nichts an. Vermutlich hatte er sie gar nicht verstanden.

16. Kapitel
Der einstürzende Himmel
    E s liegt in der Ordnung der Welt, dass ein Wunsch, von einem Mächtigen vorgetragen, in den Ohren der Ohnmächtigen zu einem Befehl wird, und es gab in Prag keinen Mächtigeren als Kaiser Rudolf und keine Ohnmächtigeren als die Juden.
    Das Gefolge des Kaisers war begeistert, ein Kampf zwischen zwei starken Männern bot eine willkommene Abwechslung. Die Damen klatschten vor Freude so fest in die Hände, dass die hohen Frisuren auf ihren Köpfen ins Schwanken gerieten, und die Herren fingen, nachdem sie Josef noch einmal ausgiebig betrachtet hatten, zu wetten an. »František wird gewinnen«, hörte Jankel einen zierlichen Herrn in einem violetten Anzug mit Spitzenkragen sagen. »Ich setze fünfzig Taler auf František.«
    »Ich halte dagegen«, sagte einer in Blau mit einer weißen Perücke und dann mischten sich noch andere ein. Der Herr in Blau ließ sich einen Bogen Papier und eine Feder bringen und notierte die Wetten. Die meisten setzten auf František.
    Der Kaiser hob die Hand, alle wurden still und blickten zur Tür, durch die zwei Diener einen Mann hereinführten, einen Koloss, mindestens so groß und so breit wie Josef. Bis auf einen Lendenschurz war er nackt und seine rosafarbene Haut glänzte von Öl. Seine Schenkel waren so kräftig, dass er nur breitbeinig laufen konnte, und seine Arme so dick, dass sie angewinkelt herunterhingen. Der Kaiser deutete auf den freien Platz in der Mitte des Raumes, dort stellte sich der Mann auf und drehte sich ein paarmal im Kreis, um allen zu zeigen, wie sich die Muskeln an seinem Körper wölbten, und dabei hob er immer wieder die Fäuste und boxte in die Luft. Jankel wurde es schwarz vor den Augen, als er das sah.
    Der Rabbi hatte sich erhoben und sprach leise auf Josef ein, Jankel fing nur die Worte »nicht töten, nicht verletzen« auf. Josef nickte und ließ seinen Umhang zu Boden fallen, bevor er langsam auf den Koloss zuging und vor ihm stehen blieb. In seiner etwas zu engen Jacke und mit dem gleichgültigen Gesicht sah er so gelassen aus, so wenig kampfbereit und auch so tollpatschig, dass Jankel ihn im Geist schon zu Boden stürzen sah, getroffen von den mächtigen Fäusten

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